01 - Ekstase der Liebe
Haar frech zu. Gegen ihren Willen spürte
Adelaide eine leichte Erregung.
»Meine
Gnädigste«, sagte Patrick Sheffield, »darf ich ein Lied für Sie singen?« Er sah
sie verschmitzt an. »Ein höchst anständiges Lied, natürlich.«
Ohne an
Tante Margaret zu denken, die wohl schon ungeduldig wartete und womöglich sogar
mit ihrem Stock auf das Parkett klopfte, zwinkerte Adelaide zurück.
»Sehr
kurz und sehr anständig«, erwiderte sie.
Patrick
schwang sich auf den Klavierhocker und ließ seine großen Hände über den Tasten
schweben. Dann hob er die Stimme zu einem neckischen, leichten Lied:
Ihr
Damen, jung und frohgemut,
Da
Zeit vergehet wie im Flug,
Widmet
die Stunden eurer freien Zeit, ja, freien Zeit
Im
Garten, Hain und an den Flüssen,
Dem
Gespräche in feinem, hohem Wissen
und
andrem harmlosem Zeitvertreib, harmlosem Zeitvertreib.
Verschmitzt betonte er >harmlosem
Zeitvertreib<, indem er seine Stimme ironisch senkte, so dass selbst
Adelaide ein lautes Lachen nicht unterdrücken konnte.
»Genug!«,
rief sie, immer noch lachend. »Mädchen, wollen wir in den Ballsaal
zurückgehen?« Sie scheuchte die drei jungen Frauen vor sich her, wobei ihr der
schmachtende Blick nicht entging, den Miss Isabella Riddleford zurückwarf. Ich
frage mich, auf wen sie ein Auge geworfen hat, dachte Adelaide und blickte
ebenfalls zurück.
Alexander,
der ältere der Zwillinge, stand aufrecht da und beobachtete sie mit leichtem
Stirnrunzeln. Seine tiefschwarzen Augen begegneten ihren. Ich hoffe nur, dachte
Adelaide, dass Charlotte mit dem Sänger im Garten war! Der andere sieht so
düster aus. Eine von Adelaides Freundinnen hatte einen Mann, der stets vor sich
hin brütete, und sie fand es schon ermüdend, nur von seinem Leid zu hören.
Sie
drehte sich abrupt um und trieb ihre Schützlinge in den Ballsaal.
»Ich habe das Mädchen
selbst nicht gesehen«, sagte ein junger Kavalier, der ehrenwerte Peter Medley,
am nächsten Morgen im White zu einem Freund.
»Ich
schon«, entgegnete sein Freund Justin. »Sie war nichts Besonderes. Sie hat
nichts vom Temperament ihrer Schwester. Aber hast du gehört, was die
Foakesbrüder später angestellt haben? Ich habe gehört, dass Alex doch
tatsächlich einen Polizisten umgehauen hat und die beiden noch drei von der
Wache niedergeschlagen haben, bevor man sie zum Revier schleppte.«
Peter
sah ihn misstrauisch an. Seit wann kannte er den zukünftigen Graf von Sheffield
und Downes so gut, dass er ihn Alex nannte?
»Wo
hast du das gehört?«, fragte er.
»Vom
alten Beckley.« Justin nickte zum anderen Ende des Raums hinüber. Beckworth
Cecily hatte zweifelsohne brandneue Neuigkeiten; er wurde von einer kleinen
Gruppe Männer umringt, auf deren Gesichtern sich Belustigung und Bestürzung
spiegelten.
So
wurden Adelaides Pläne für den Ball des Prinzen zunichte gemacht. Vier Tage
später war öffentlich bekannt, dass Woodleigh, Foakes seine Söhne auf
Passagierschiffe Richtung Kontinent und in den Fernen Osten beordert hatte.
Genau wie der ehrenwerte Sylvester vermutet hatte, war Italien das Ziel des Erben
(Alexander) und der Ersatzmann (wie er scherzhaft genannt wurde) wurde auf eine
exotische, wenn nicht gefährliche Reise nach Indien geschickt. Man erwartete
sie frühestens in zwei Jahren zurück.
Adelaide
schwieg und fragte sich, ob sie nicht doch nach oben laufen und Charlotte
hinunter in den Saal hätte zerren sollen. Einige Wochen lang quälte sie ein
Gefühl des Bedauerns: Was, wenn sie es getan hätte? Was, wenn Charlotte von
einem der Foakeszwillinge verführt worden war? Was, wenn sie extra zu dem Ball
gekommen waren, um nach Charlotte zu suchen? Schließlich beruhigte sie ihr
gesunder Menschenverstand. Es gab in England so viele Männer mit
silberschwarzem Haar.
Dann
brachte Campion ihr den knapp formulierten Bericht eines Privatdetektivs,
welcher besagte, dass der Hurenball regelmäßig am Samstagabend in Kent auf dem
Lande stattfand. Er wurde von Adeligen und Gentlemen, aber auch von jeder
anderen Sorte Mensch, natürlich auch von Prostituierten, besucht. Als sie
hörte, wo Charlotte gewesen war, war sie entsetzt, aber gefasst. Wahrscheinlich
hatte Charlotte Recht: Sie war im Halbdunkel einem gut aussehenden Lakaien
begegnet.
Außerdem
hatte Adelaide andere Probleme. Charlottes Ball mochte ein Erfolg gewesen sein,
Charlotte selbst jedoch war es nicht. Sie verbrachte Stunden in ihrem Zimmer,
um zu malen. Sie ging nur auf Bälle, wenn man ihr mit den schlimmsten
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