01 - Ekstase der Liebe
Strafen
drohte, wie etwa ihr die Leinwand wegzunehmen. Sie stand teilnahmslos in den
Räumen voller plaudernder Gleichaltriger und klagte über Langeweile. Sie
entwickelte einen kühlen, undurchdringlichen Blick, den sie über die
versammelten Reihen der Männer schweifen ließ, und keiner bestand vor ihren
Augen. Nur ein sehr mutiger Zweiundzwanzigjähriger forderte sie zu einem
zweiten Tanz auf, da sie sich offenbar nicht auf leichte Konversation verstand
und junge, oberflächliche Männer mit der Frage verschreckte, was sie von den
Ereignissen in Frankreich hielten.
Nach
einer Weile vergaß Adelaide die dunklen Augen Alexanders des Älteren und die
samtene Stimme Patricks des jüngeren. Und anscheinend vergaß Charlotte ihr
Stelldichein in dem Garten ... zumindest wurde es zwischen ihnen nicht
noch einmal erwähnt. Um die Wahrheit zu sagen, Mutter und Tochter verbrachten
ihre Zeit damit, sich immer wieder wegen Charlottes Weigerung, an sozialen
Anlässen teilzunehmen, oder ihrer verächtlichen Haltung, wenn sie es tat, in
die Haare zu geraten.
Adelaide
begriff nicht, dass für Charlotte die jungen Männer, denen sie begegnete,
neben der Erinnerung an sein Gesicht verblassten. Charlotte begriff die
wachsende Angst ihrer Mutter vor einer Zukunft ohne Ehe für ihre Tochter
nicht. Sie hatte begonnen, Blumen zu malen und war am glücklichsten, wenn sie
in ihrem Zimmer sorgfältig den dunkelgoldenen Schimmer einer Lilie nachzuahmen
versuchte.
Charlotte
war sich über ihre Zukunft im Klaren. Sie würde keinen der dummen Jungen
heiraten, die sie bisher kennen gelernt hatte, wahrscheinlich würde sie
überhaupt nicht heiraten. Diese Aussicht störte sie nicht besonders. Was sie
störte, war die vergeudete Zeit, die langsamen Tänze, die lauwarme Limonade und
die zu engen Kleider.
Etwa
ein Jahr später dachte auch sie nur noch selten an den Mann, den sie im Garten
geküsst hatte. Mittlerweile sah sie
diese
Erfahrung als glücklichen Zufall, der sie über Nacht zur Frau gemacht und ihr
gezeigt hatte, was sie wollte. Ohne dieses Ereignis hätte sie sich noch vor
Ende der ersten Saison in die Arme irgendeines Mannes treiben lassen, dachte
Charlotte verächtlich. Vermutlich wäre sie schon schwanger und ihr Mann würde
sich in Ascot vergnügen, während sie zu Hause festsaß.
Charlotte
trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr neuestes Bild, eine gelbbraune
Tigerlilie, auf der Staffelei. Die Linien am Stiel waren noch nicht perfekt,
aber die Farbe war ausgezeichnet. Das hier, dachte sie, war ein weitaus
besseres Leben.
Kapitel 3
London, England, Mai 1801
In dem Frühling,
als Charlotte zwanzig wurde, gab ihre Familie die Hoffnung auf, dass sie jemals
heiraten würde. In den drei Saisons seit ihrem Debüt hatte sie überraschend
viel Erfolg gehabt, wenn man bedachte, dass sie nur selten Bälle besuchte und
dazu überredet werden musste, an den normalen Beschäftigungen einer
wohlerzogenen jungen Dame, wie Gesellschaften oder Ausritten im Park,
teilzunehmen.
Aber
wenn sie zu einem Ball kam, schenkte man ihr stets Beachtung. Nach ihrem
schrecklichen Debütantinnenjahr sammelte sie einen Kreis von Gentlemen um sich,
die ihrem Witz Beifall zollten. Wenn sie auch heimlich ihre wundervollen Rundungen
bewunderten, lernten sie doch schnell zu schweigen. Selbst das unschuldigste
Kompliment, beispielsweise ein Vergleich zwischen Lady Charlottes Augen und den
Sternen, wurde mit einem gelassenen, aber frostigen Rückzug beantwortet.
»Ich
verstehe das nicht«, sagte der Graf von Slaslow zu einem Freund, während er bei
Almack in einer Ecke gelehnt dastand und beobachtete, wie Charlotte graziös
über die Tanzfläche glitt. »Am Anfang habe ich gar nicht viel von ihr gehalten,
aber sie ...«
»Ich
weiß«, unterbrach David Marlowe, der jüngere Sohn eines Esquire, der für die
Kirche bestimmt war. »Ich weiß, sie hat deine Komplimente ignoriert und deine
Neugier angestachelt und jetzt hat es dich erwischt. Frauen!« David war
angewidert. Es war offensichtlich, dass das kleine Flittchen Katz und Maus mit
Braddon spielte.
Keine
Frau würde Braddons Aufmerksamkeit allen Ernstes zurückweisen. Schließlich war
er in diesem Jahr der beste Fang auf dem Markt, wenn man einmal von dem
wohlhabenden aber schrecklich alten Graf von Siskind absah. Und wie jeder
wusste, suchte Siskind nur ein Kindermädchen für seine acht Kinder.
Aber
hier stand Braddon, unglücklich wie ein Fisch auf dem Trockenen, und Charlotte
hatte ihm einen
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