01 - Ekstase der Liebe
so ganz anders
als ihre ernsthafte, überhaupt nicht leichtfertige Tochter. Aber wie war ihre
Tochter denn eigentlich? In den letzten Wochen war Charlotte zur gefeierten
Schönheit Londons geworden. Das Mädchen, das in drei Jahren acht Anträge
bekommen hatte, hatte allein in der letzten Woche mehr Männern einen Korb geben
müssen.
»Oh,
Sophie«, rügte Charlotte lachend. »Warum sagst du deshabillé? Das
bedeutet doch, du bist nur halb angezogen, oder, Mama?«
Adelaide
nickte. Genau das gehörte zu den Dingen, warum sie sich Gedanken über Lady
Sophie machte. Sie wusste genau, dass Sophies Französisch makellos war, da ihre
Mutter Französin war und sie ein französisches Kindermädchen gehabt hatte. Was
bezweckte das Mädchen damit anzudeuten, sie sei nur halb bekleidet? Also
wirklich! Ihr Sinn für Humor war ein wenig ... outré, etwas unanständig.
Und
Charlotte und Sophie traten jetzt überall zusammen auf. Charlottes glänzende
schwarze Locken neben Sophies rotblonden Locken waren im Hydepark ein gewohnter
Anblick. Noch mehr erstaunte sie jedoch, dass Charlotte Sophie malte: ihr
erstes lebendes Modell. Vielleicht bin ich etwas eifersüchtig, dachte Adelaide.
Plötzlich
fuhr sie zusammen. »0 nein!«, rief Adelaide beinahe quietschend. »Wachs!« Die
kleine Schar Frauen sprang auseinander und blickte nach oben. Sie standen genau
unter einem Leuchter und heißes Wachs tropfte von den Kerzen.
»Charlotte«,
sagte Adelaide befehlend. »Und Sophie, natürlich«, fügte sie hinzu. »Wir werden
uns für einen Augenblick zurückziehen. Kommt, Mädchen.« Herrisch bahnte sie
sich ei nen Weg durch die Menge zum Damensalon.
Sophie
und Charlotte folgten ihr etwas langsamer. Adelaide hatte in der Tat einen
weißen Streifen aus Wachs auf dem Rücken ihres Kleides. Sie würde es wohl
ausziehen müssen, damit die Dienstmädchen das Wachs herausbügeln konnten.
Charlottes
Augen strahlten. Sie trug eines ihrer neuen Kleider aus dunkelgrüner Seide. Sie
liebte es, wie der Stoff ihr beim Tanzen oder Gehen sanft um die Beine strich.
»Deine
Lippen sind also wie Honig?«, flüsterte Sophie ihr zu, als sie durch die Menge
gingen und dabei automatisch die Grußworte und das Lächeln der anderen
erwiderten. »Und ist das eine Honigbiene, die du dort auf dem Balkon
zurückgelassen hast?«
»0
nein«, jammerte Charlotte in gespielter Verzweiflung. »Sag nicht, du willst
schon wieder einen vollkommen guten Flirt zunichte machen! Mir hat die
Bienengeschichte gefallen!«
»Nein,
nein!«, entgegnete Sophie. »Ich fand, Will war eine bezaubernde Biene. Und«,
fuhr sie etwas entrüstet fort, »es ist ungerecht zu behaupten, ich hätte deinen
Flirt mit Reginald letzte Woche zunichte gemacht - ich habe nur gefragt,
wie oft er sein Toupet zurechtgerückt hat, während du mit ihm einen Tanz
ausgesetzt hast. Und ich habe Recht! Es ist ein untrügliches Anzeichen für sein
Verlangen. Wenn seine zukünftige Frau Kopfschmerzen hat, wird sie dieses
Herumrücken seiner Perücke fürchten lernen.«
Charlotte
lachte halb schockiert, halb entzückt. Wie konnte Sophie nur etwas so
Empörendes sagen?
Ach
nehme an«, antwortete Charlotte, »dass er sich ständig an den Kopf fasst, wenn
du einen Tanz mit ihm aussetzt!«
»Natürlich«,
meinte Sophie gedehnt. »Ich würde mich in sehr schlechter Form glauben, wenn er
nicht wenigstens einmal in der Minute seine Perücke zurechtrückt. Weißt du was«,
sagte sie etwas nachdenklicher, »vielleicht sollte eine von uns ihn wirklich
nehmen. Er sieht gar nicht so schlecht aus.«
Sie
schlängelten sich die Treppe hinauf, was wegen der Scharen von Klatschenden,
die sich auf halbem Weg nach oben postiert hatten, eine langwierige
Angelegenheit war, und sprachen noch immer über Lord Reginald Petersham.
»Natürlich
ist er nur ein Baronet«, erklärte Sophie.
»Aber
er hat ein wundervolles Gesicht«, erwiderte Charlotte. Lord Reginald war mit
einem langen, schmalen Gesicht gesegnet, das sie jetzt, wo sie dazu
aufgestiegen war, wirkliche Menschen zu porträtieren, sehr gern malen würde.
Aber sie konnte ihn nicht malen, ohne ihn zu heiraten; unverheiratete Damen
durften nicht Stunden mit einem Mann allein in einem Zimmer verbringen, selbst
wenn er auf dem Sofa platziert war und sich nicht bewegen durfte. Und sie
mochte sein Gesicht nicht genug, um ihn gleich zu heiraten.
Ach
weiß«, sagte Charlotte mit einem Seufzer. »Man könnte all seine kleinen
Haarteile verbrennen. Ich mag kahle Köpfe. Aber
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