01 - Ekstase der Liebe
Sie wusste genau, wie Tigermütter sich fühlten, wenn ihre
jungen bedroht wurden.
»Dieser
Bastard!«, zischte sie. »Dieser Erzhalunke. Das soll er mir büßen!«
Charlotte
war so schockiert, dass sie ihr Elend vergaß. Ihre Mutter ging selten so weit,
starke Gefühle auszudrücken, von den angenehmen, wie der Liebe zu ihren
Kindern, einmal abgesehen. Wirklich aufgelöst hatte Charlotte sie nur einmal
erlebt, als der Pförtner ihres Landguts seiner Frau ein blaues Auge schlug,
weil er zu tief ins Glas geschaut hatte. Und selbst da war sie nur
schnurstracks zu ihm marschiert und hatte ihm mitgeteilt, dass er auf der
Stelle gefeuert würde, wenn ihr je zu Ohren kommen sollte, dass er mehr
getrunken hatte als drei Krüge Ale. jetzt dagegen keuchte ihre Mutter geradezu
vor Wut.
»Mutter.«Charlotte
legte ihr eine Hand auf den Arm.
Adelaide
sah sie wütend an.
»So ist
es nun mal, Mama«, beschwichtigte Charlotte. »Im Grunde kann ich von Glück reden.
Ich ... ich weiß nicht, ob ich ihm widerstanden hätte, wenn ich ihm nicht schon
vor drei Jahren begegnet wäre, und dann wüsste ich auch nicht, dass er so ein
...«
»Wüstling
ist«, stieß ihre Mutter hervor.
»Was
auch immer er ist«, sagte Charlotte mit zittriger Stimme, »er hat vergessen,
dass er mir je begegnet ist. Und er darf es nicht herausfinden, Mama! Versteh
doch, wie demütigend das für mich wäre.« Sie wischte die Tränen fort, die ihr
weiter langsam über die Wangen liefen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
»Er sagt, dass er mich heiraten möchte. Aber vorher hat er nicht einmal
versucht, mich zu finden. Für ihn war es wohl nur ein kleines Abenteuer im
Mondenschein«, meinte sie, die Stimme voller Selbstverachtung. »Ich frage mich
nur die ganze Zeit, warum. Warum nur habe ich zugelassen, dass er mich in den
Garten brachte? Es kam mir alles vor wie in einem Märchen. Ich dachte, es wäre
...« Sie wandte sich ab und lehnte ihre Stirn an die kühle Wand des Ateliers.
»Was für eine dumme, kleine Närrin ich war! Eingefangen vom Mondlicht und
trunken von Limonade, ruiniert von einem Mann, für den das Ganze so unwichtig
war, dass er sich nicht einmal mehr daran erinnert! Es hat ihm nichts bedeutet,
ihm überhaupt nichts und mir alles ...« Ihr Körper wurde von Schluchzern
geschüttelt, als sie sich, das Gesicht in den Händen, vor und zurück wiegte.
Adelaide
stand wie zu Stein erstarrt und wusste nicht, wie sie ihr weinendes Kind
trösten sollte. Stumm zog sie Charlotte zurück auf das Sofa, von dem sie sich
gerade erhoben hatten. Sie saßen wortlos da, bis Charlottes Tränen schließlich
versiegten und sie tief durchatmete.
»Ich
glaube, du solltest ihn heiraten«, sagte Adelaide schließlich ruhig.
Charlotte
hob ihr tränennasses Gesicht. »Was?«
»Ich
glaube, du solltest ihn heiraten«, wiederholte Adelaide. »Wir müssen in Ruhe
darüber nachdenken, Liebling. Bis jetzt haben wir mit dem Herzen gedacht, nicht
mit dem Verstand. Tatsache ist doch, dass Männer sexuelle Begegnungen nicht
sehr ernst nehmen. Oh, dein Vater schon«, fügte sie hinzu, als Charlottes Augen
größer wurden. »Dein Vater ist anders. Aber, Charlotte, der Großteil meiner
Freundinnen sieht ihren Männern dabei zu ... nun ja, wissen, dass ihre
Ehemänner mit der einen oder anderen Frau ins Bett gehen. Die liebe Georgina
zum Beispiel musste sich gegen alle möglichen Affronts abhärten.«
»Du
meinst Julias Mutter?«, fragte Charlotte, gegen ihren Willen fasziniert. »Herr
Brentorton macht einen so netten Eindruck.«
»Das
ist er auch, Liebling. Aber er ist ein Mann und es gibt sehr wenige, die ihrem
Ehegelübde großen Wert beimessen. John liebt Georgina wirklich, aber er sieht
die Sache nicht wie sie. Wenigstens hat er sich keine Mätresse zugelegt! Und er
verkehrt nicht mit Frauen unseren Standes, was ein wahrer Segen ist, das kannst
du mir glauben. Warum glaubst du, schützt Sissys Mutter so oft ein schwaches
Herz vor? Sie kann es einfach nicht ertragen, ihren Mann dabei zu beobachten,
wie er mit dem billigen Flittchen, dem er ein Haus auf der Mayfair Street
eingerichtet hat, herumscharwenzelt.«
»Was?«,
fragte Charlotte mit offenem Mund.
»Ich
glaube, ihr Name ist Melinda, oder etwas ähnlich Lächerliches. Angeblich ist
sie die Witwe eines Majors ... aber es ist allgemein bekannt, dass Nigel
Commonweal den Großteil seiner Zeit in ihrem Haus verbringt, und während sie in
den besten Häuser nicht eingeladen wird, scheint sie sich die Einladungen
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