01 - Ekstase der Liebe
dachte er zusammenhanglos.
»Ich
habe diese Frau gesehen - es ist Charlotte Daicheston, nicht wahr? -
ich habe gesehen, wie sie. Ihnen zugelächelt hat. Ich glaube, sie möchte, dass
Sie sie in ihrer Loge aufsuchen.«
Will
starrte sie völlig perplex an. Chloe van Stork wandte ihre Aufmerksamkeit
wieder der Bühne zu, von der sich gerade zwei Akrobaten und Jongleure trollten,
um für das Stück selbst Platz zu machen. Will betrachtete Chloes ruhiges,
ernstes Profil und versuchte herauszufinden, was sie über Charlottes Lächeln
dachte. Verstand sie überhaupt, welche Schlussfolgerungen die Gesellschaft ziehen
würde, wenn er aus der Loge ihres Vaters verschwand und neben Charlotte wieder
auftauchte? Überraschenderweise widerstrebte es ihm, den Flirt jetzt fallen zu
lassen, wo er Früchte zu tragen begann. Er hatte mit Chloes Eltern und ihr
selbst an diesem Abend diniert und es war das erste Mal, dass er sie zu einem
öffentlichen Ereignis begleitete. Er wäre ein Narr, sich ein goldenes Vlies
durch die Lappen gehen zu lassen, nur weil Charlotte Daicheston sich aus einer
Laune heraus entschied, ihm zuzulächeln.
Plötzlich
wandte Chloe sich ihm wieder zu. »Nun gehen Sie schon!«, sagte sie heftig. Will
staunte wieder. Sie winkte ungeduldig mit der Hand. Obwohl er sich wie ein
gescholtener junge fühlte, erhob sich Will höflich, verbeugte sich vor ihr und
ihren Eltern und murmelte etwas von einigen Bekannten, die er begrüßen wolle.
Wenige Minuten später tauchte er zur großen Befriedigung des Publikums in der Loge
der Brandenburgs auf Das Stimmengewirr nahm zu. Es versprach ein sehr
interessanter Abend zu werden.
Charlotte
streckte ihm fröhlich die Hand entgegen und selbst die etwas steife Marquise
begrüßte ihn freundlich. Sie hielt jeden für besser als diesen scheußlichen
Grafen. Will zog einen Stuhl heran und setzte sich hinter Charlotte. Er
flüsterte ihr einige Bonmots zu, die sie zum Lachen brachten. Sie lachte ein
wenig zu viel, wie er in Anbetracht der Qualität der Witze fand. Er sah zu
Sophie hinüber. Ihre zarten Augenbrauen waren hochgezogen und sie blickte
ziemlich belustigt drein. Will wurde plötzlich ungeduldig.
Er
blickte in die Loge, die er gerade verlassen hatte. Miss van Stork hatte
wirklich eine reizende Stupsnase, besonders im Vergleich zu der riesigen Nase
ihres Vaters. Das Kerzenlicht fing sich in ihrem Haar und es schimmerte rot.
Sie betrachtete die Bühne, nicht ihn. Er würde ihm nichts ausmachen
zurückzugehen, dachte er. Doch sie hatte ihn aus ihrer Loge gescheucht, als
wüsste sie, dass er nur hinter ihrer Mitgift her war ... Na ja, natürlich weiß
sie das, sagte eine Stimme in seinem Hinterkopf. Sieh sie dir an! Sie ist eine
intelligente Frau, die völlig schäbig gekleidet inmitten von Londons
elegantesten Frauen sitzt. Sie weiß, dass du nur ihr Vermögen willst. Ich frage
mich, warum sie dieses Kleid trägt, dachte Will. Dann riss er sich zusammen.
Was zum Teufel machte er da? Er saß neben den schönsten Frauen der Londoner
Gesellschaft und fühlte sich nicht danach, amüsant zu sein. Es fiel ihm keine
einzige verführerische Metapher ein, stattdessen dachte er an eine altmodische
Frau in einem Korsett. Charlottes schneeweiße Schultern schimmerten neben ihm
und ihre weiche Haut zog den Blick unwiderstehlich auf die sanften Rundungen,
die sich unter
dem leichten Oberteil abzeichneten. Sein Atem ging schneller. Will verbannte
Miss van Stork, die allein in ihrer Loge saß, aus seinen Gedanken. Zur Hölle
damit! Hatte er nicht geschworen aufzuhören, nach Mitgiften zu jagen?
In
seiner Loge ballte Alex vor Wut die Fäuste. Er hatte noch einen Blick auf
Charlotte gewagt, nur um festzustellen, dass sein alter Freund Will Holland
hinter ihr herumlungerte und auf ihre Brüste schielte, wenn er sich nicht sehr
irrte. Er wandte sich Daphne Boch zu, beugte sich vertraulich zu ihr hinüber
und machte ihr ein Kompliment über ihren Fächer. Daphne sah ihn ei n wenig spöttisch
an. Sie hatte nichts dagegen, mit diesem so gut aussehenden Grafen zu flirten,
auch wenn er in Wahrheit an dieser riesigen Bohnenstange von einer Engländerin
interessiert war.
Das
Stück begann, aus den Trompeten erscholl eine ohrenbetäubende Fanfare, um die
Ankunft des Königs, des Königs Lear, anzukündigen. Charlottes Gedanken
purzelten durcheinander, aber sie war jetzt, wo Will sich zu ihr gesellt hatte,
ruhiger; als könne er ihr als Tarnung dienen. Sie fühlte sich so nackt, so
sicher, dass jeder
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