01 - Ekstase der Liebe
Charlotte kniff die Augen zusammen und kaute unbewusst auf
ihrer Unterlippe. »Meinen Sie, es wäre vielleicht möglich, dass Sie für mich sitzen?
Für ein Porträt braucht man viel Zeit, um die sechs Wochen, aber ich würde Sie
nicht jeden Tag brauchen. Ich arbeite von acht Uhr morgens bis eins; es wäre
wundervoll, wenn Sie Zeit hätten.«
Chloe
war völlig durcheinander. jeder wusste, dass die Schönen der Gesellschaft den
ganzen Tag nichts zu tun hatten. Sie saßen herum und zählten ihre Perlen. Sie
schluckte reichlich ungraziös und starrte die exquisit gekleidete Frau auf der
anderen Seite des Tisches an. Sie arbeitete wie eine Verrückte an ihren Bildern?
»Ich
denke schon«, erwiderte sie schließlich zögernd. »Ich müsste aber meine Mutter
fragen.«
»Natürlich.
Vielleicht möchte sie Sie begleiten? Sie würde vermutlich nicht die ganze Zeit
in meinen Atelier sitzen wollen, aber ich weiß, dass sich meine Mutter über ein
wenig Gesellschaft freuen würde«, meinte Charlotte und vergaß unbekümmert den
sorgfältig geplanten Tagesablauf der Herzogin.
Chloe
versuchte vergeblich, sich vorzustellen, wie ihre Mutter gemütlich mit der
Herzogin von Calverstill Tee trank.
»Das
bezweifle ich«, antwortete sie unsicher. »Sie ist meistens schrecklich
beschäftigt.« Dann hätte sie sich vor Scham die Zunge abbeißen können.
Charlottes Mutter verbrachte wahrscheinlich die meiste Zeit des Tages auf einer
Bettcouch. Charlotte könnte denken, sie wolle sie kritisieren.
Aber es
wäre Charlotte, die gelernt hatte, wie man einen großen Haushalt führte, und
genau wusste, wie viel Arbeit das war, nie in den Sinn gekommen, darin eine
Beleidigung zu sehen. »Ja«, sagte sie abwesend. Sie starrte Chloe weiterhin ins
Gesicht. Dann streckte sie eine Hand über den Tisch und klemmte ihr eine
Haarsträhne hinters Ohr. Chloes Mädchen hatte ihr Haar unbarmherzig zu einem
engen Zopfkranz geflochten, aber kleine Löckchen hatten sich gelöst.
Von der
großen, weinbehangenen Laube aus, in der verstreut einige Tische standen, sah
Will, wie Charlotte Chloes Haar ordnete, und runzelte die Stirn. Sie hatte doch
wohl nicht vor, Chloe zu verwandeln, oder doch? So wie sie sich verändert
hatte? Das gefiel ihm nicht. Chloe war Chloe und er wollte sie nicht in einem
dieser durchsichtigen französischen Kleider sehen, die es zuließen, dass alle
Männer ungehindert auf ihren Busen starrten. Er ging hinüber, baute sich hinter
Chloes Stuhl auf und sah Charlotte finster an.
»Miss
van Stork«, sagte er absichtlich förmlich. »Würden Sie mir bei einem
Spaziergang Gesellschaft leisten? Wir könnten uns den mechanischen Zug ansehen.«
Chloe
saß eine Sekunde lang vollkommen still da. Es war wirklich lächerlich, wie ihr
das Herz bis zum Hals schlug, wenn sie seine Stimme hörte. Er war ein
Mitgiftjäger, sonst nichts. Außerdem hatte sie alles darüber gelesen, wie er
Lady Charlotte den Hof gemacht hatte.
»In
Ordnung«, sagte Chloe kühl. Sie nickte Charlotte zu, schenkte ihr ein Lächeln
und ging mit Will. Mit einem leichten Lächeln beobachtete Charlotte, wie sie
sich entfernten. Sie war sich sicher, dass Will nicht mehr lange Junggeselle
bleiben würde. Es hatte ihn erwischt, dachte sie. Sie zuckte die Achseln und
sah in die braunen Augen des jungen Mannes, der rechts neben ihr saß.
»Lady
Charlotte«, sagte er. »Möchten Sie ein Stückchen mit mir gehen?«
Charlotte
war wenig begeistert. Sie liebte es nicht, mit fremden, jungen Männern auf
dunklen Wegen spazieren zu gehen. Erfahrungsgemäß versuchten sie ausnahmslos, sie
zu küssen, in der festen Überzeugung, dass ihre meisterhaften Küsse jeden Widerstand
brechen würden. Vauxhall war von Lustgärten und efeubewachsenen Mauern
umgeben, die nachts nur schwach von chinesischen Laternen und Lampions erhellt wurden.
Sie begegnete Sophies Blick und Sophie zwinkerte ihr mitfühlend zu. Sie selbst
hatte alle Hände voll zu tun, drei Männer mit einer ähnlichen Mission abzuwehren.
Unterdessen war es dem Marquis gelungen, Daphne Boch dazu zu überreden, mit
ihm das Feuerwerk anzusehen, und die Marquise starrte mit verkniffenem Mund vor
sich hin. Charlotte wollte nach Hause. Alex war nirgends zu sehen und
überhaupt, was wollte sie eigentlich von ihm? In Anbetracht der Tatsache, dass er
sofort nach ihrer Ankunft davongeschlendert war, konnte wohl nicht die Rede
davon sein, dass sie mit ihm hier war. Sie fühlte sich gedemütigt, verärgert
und ziemlich müde.
Der
junge,
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