01 - Geheimagent Lennet wird ausgebildet
Beruf, das wissen Sie selbst recht gut. Sie sind es nur einfach nicht gewohnt, so allein zu sein. Und was Ihren Namenstag betrifft: Ich wünsche Ihnen alles Gute!«
»Sie können also doch ganz nett sein", sagte sie. »Wenn Sie nur nicht so sehr davon überzeugt wären, daß ich der feindliche Agent bin, könnten wir uns recht gut vertragen.« Sie stand auf.
»Kehren wir getrennt zurück", sagte sie. »Komplizen sind hier nicht sehr beliebt.«
Lennet stürzte in seine Kabine und sah im Kalender nach: Es war keineswegs der Tag der heiligen Corinna. Corinna war übrigens, laut Lexikon, keine Heilige, sondern eine griechische Dichterin. Die Namenspatronin dieses Tages war die heilige Delphina. Corinna hieß also Delphina!
Mit anderen Worten, sie hatte einen Schnitzer gemacht, einen groben Schnitzer sogar und einen sehr dummen. Sie konnte keine internationale Spionin sein. Zudem wurde das durch ihre Tränen, ihren Anfall von Schwäche, ihr Eingeständnis: »Ich bin für diesen Beruf nicht geschaffen", bestätigt. Lennet atmete auf.
Es heißt also einen anderen Weg suchen, sagte sich Lennet, der seine Unbeschwertheit wiedergewonnen hatte, seit er Corinna nicht mehr verdächtigen mußte. Dieser Spion nimmt sicher Kontakt mit dem Land auf - wahrscheinlich durch Leuchtsignale. Und die sind nur in der Nacht sichtbar. Es wäre ganz interessant, einige Nächte auf Deck zu verbringen.
Die herannahende kühle Jahreszeit ließ diese Absicht nicht gerade sehr verlockend erscheinen, aber die Agenten des END
fürchten Wetterunbilden nicht. In warmer Unterkleidung und Regenhaut fühlte sich Lennet gewappnet, den Schlaf während der vorgesehenen Zeit zu vertreiben.
Am ersten Abend wachte er bis Mitternacht. Am nächsten Morgen berief ihn Hauptmann Ruggiero ins Konferenzzimmer.
»Bietet Ihnen Ihre Kabine nicht genug Bequemlichkeit, Armand?« fragte sie. »Oder hatten Sie vielleicht ein Rendezvous? Ich wäre untröstlich, wenn man Sie sitzengelassen hätte...«
Lennet lächelte ebenfalls. »Glauben Sie nicht, daß der vermutete feindliche Agent Kontakt mit dem Land aufnehmen müßte?«
»Ach, der feindliche Agent", sagte sie ironisch. »Ich meine fast, eine Agentin wäre Ihnen lieber?«
»Frau Hauptmann, das hängt von der Agentin ab. Sie haben also etwas dagegen, daß ich auf Deck Luft schnappen gehe?«
»Nicht im geringsten, mein lieber Armand. Achten Sie bloß auf Ihre werte Gesundheit.«
Er hatte weder am nächsten noch am übernächsten Tag Erfolg. Am darauffolgenden Tag beschloß er, frühzeitig schlafen zu gehen, um zwei Uhr aufzustehen und so anstatt der ersten die zweite Hälfte der Nacht auf Deck zu verbringen.
Das Aufstehen fiel ihm ziemlich schwer. Nachdem er die Regenhaut übergestreift hatte, schlich er in den Gang hinaus. Er zweifelte nicht daran, daß ihn die Infrarotkameras bereits entdeckt hatten. Aber was tat das schon? Er trieb ja sein verborgenes Spiel nicht mit den Lehrern.
Er glitt hinter dieselben Taurollen, zwischen denen er Corinna vor ein paar Tagen überrascht hatte.
Die »Napoleon" hatte so langsame Fahrt, daß man sie für unbewegt hätte halten können. Vielleicht war sie es sogar?
Irgendwo tief drunten, in Regionen, die den Schülern nicht zugänglich waren, grollten die Maschinen. Die Nacht war pechschwarz, Wolken hingen tief herab.
Bei einer solchen Wolkendecke ist jede Signalisierung ausgeschlossen! dachte Lennet gähnend. Ich gehe lieber schlafen.
Im selben Augenblick sah er, wie sich ein schwarzer Umriß vom helleren Deck abzeichnete.
Die Gestalt schien nicht von den Schülerquartieren zu kommen; sie stieg wahrscheinlich vom Oberdeck herab, das den Lehrkräften vorbehalten war.
Lennet machte sich hinter seinen Taurollen ganz klein.
War es ein Mann? War es eine Frau? Der Unbekannte trug eine Hose und einen Rollkragenpullover und schritt lautlos dahin. Er wandte sich der Reling zu. Unter dem Arm trug er einen großen schwarzen Gegenstand von ungewöhnlicher Form.
Er ging einige Meter die Reling entlang, bis zu einem Punkt, wo eine Leiter endete, die an der Außenwand des Schiffsrumpfes fast bis zur Wasseroberfläche hinabreichte.
Dann begann er mit seinem Bündel die Leiter hinabzusteigen.
Sobald er vollständig verschwunden war, verließ Lennet sein Versteck und postierte sich am oberen Ende der Leiter - eine ausgezeichnete taktische Position für die kleine Unterhaltung, die in wenigen Augenblicken beginnen würde, sobald der Unbekannte wieder heraufstieg.
Drunten konnte man
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