01 - Gnadenlos
die Einsatztruppe gleich vor Ort gewesen war. Mit Minikanonen waren die Wachtürme beschossen worden, gerade so, als würde einer mit Kettensägen gegen Baumschößlinge vorgehen. Keine Finessen, kein langes Gefackel, kein filmreifer Bockmist, einfach brutale, rohe Gewalt. Die Abschlußberichte nach der Aktion zeigten, daß die Lagerbewachung innerhalb von Sekunden abgeschlachtet worden war. Was für ein Hochgefühl mußte die Soldaten befallen haben, nachdem die ersten Minuten des Unternehmens glatter abgelaufen waren als bei der Simulation, doch dann die bittere, niederschmetternde Enttäuschung, als über Funk immer wieder die Meldungen mit »negativem Befund« durchgekommen waren. »Negativer Befund« war das schlichte Codewort dafür gewesen, daß sie keinen amerikanischen Kriegsgefangenen mehr vorgefunden hatten. Die Soldaten hatten ein leeres Lager überfallen und befreit. Es war nicht schwer, sich das betroffene Schweigen der Hubschrauberbesatzung auf dem Rückflug nach Thailand vorzustellen, die öde Leere des Versagens, nachdem sie alles besser als gut gemacht hatten.
Trotzdem konnte man daraus viel lernen. Kelly machte sich Notizen, schrieb sich die Finger wund und verbrauchte zahlreiche Bleistifte. Ungeachtet des Fehlschlags war KINGPIN ein höchst wertvoller Einsatz gewesen. So vieles hatte geklappt erkannte er, und all das ließ sich schamlos kopieren. Eigentlich war nur die Zeitplanung falsch gelaufen. Eine Truppe von solchem Format hätte viel früher losschlagen können. Die immer größere Perfektionssucht war nicht auf der Aktionsebene verlangt worden, sondern weiter oben, von Männern, die älter geworden waren und den Kontakt mit der Begeisterungsfähigkeit und der Intelligenz der Jugend verloren hatten. Und folglich war die Mission gescheitert, nicht wegen Bull Simons, Dick Meadows oder der Ledernacken, die für Männer, die sie noch nie gesehen hatten, bereitwillig ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, sondern wegen anderer, die zu ängstlich gewesen waren, um ihre Karriere oder ihren Posten zu riskieren - weitaus bedeutendere Faktoren natürlich als das Blut der Kameraden, die in vorderster Linie standen. In Song Tay war alles zusammengefaßt, was sich über Vietnam sagen ließ, kondensiert in den wenigen Minuten, die das ausgezeichnet ausgebildete Team gebraucht hatte, um mit seiner Mission zu scheitern, im Stich gelassen sowohl vom Planungsablauf wie von einer fehlgeleiteten und verräterischen Person, die sich in der staatlichen Bürokratie versteckt hielt.
SENDER GREEN würde anders ablaufen, sagte sich Kelly. Und sei es nur aus keinem anderen Grund als dem, daß es ein Spiel war, das nur von ganz wenigen durchexerziert wurde. Wenn die wirkliche Bedrohung für das Unternehmen die Kontrollinstanzen waren, warum dann nicht die Kontrollinstanzen ausschalten?
»Captain, Sie haben mir sehr geholfen«, sagte Kelly.
»Gefunden, was Sie wollten, Mr. Clark?« fragte Griffin. »Ja, Mr. Griffin«, sagte er, indem er unbewußt dem jungen Offizier gegenüber wieder in den Marineton verfiel. »Ihre Analyse des zweiten Lagers war erstklassig. Falls Ihnen das noch niemand gesagt hat, das hätte ein paar Leben gerettet. Lassen Sie mich etwas in eigener Sache sagen: Ich wünschte, so ein Geheimdienst-Fritze wie Sie hätte für uns gearbeitet als ich draußen im Dschungel war.«
»Ich kann nicht fliegen, Sir. Ich muß etwas Nützliches tun«, erwiderte Griffin, ein wenig verlegen ob des Lobes.
»Das tun Sie.« Kelly händigte ihm seine Notizen aus. Unter seinen Augen wurden sie in einen Umschlag gesteckt, der dann mit Siegellack verschlossen wurde. »Schicken Sie das Päckchen an diese Adresse.«
»Ja, Sir. Sie haben sich eine Verschnaufpause verdient. Haben Sie zwischendurch überhaupt mal geschlafen?« fragte Captain Griffin.
»Nun, ich denke, ich werde mich ein bißchen in New Orleans entspannen, bevor ich zurückfliege.«
»Kein schlechter Ort dafür, Sir.« Griffin ging mit Kelly zum Auto, in dem bereits alles verstaut war.
Eine weitere kleine Information war verblüffend einfach zu erhalten gewesen, dachte Kelly beim Hinausfahren. In seinem Zimmer im Schlafquartier hatte es ein Telefonbuch von New Orleans gegeben, in dem er zu seinem Erstaunen den Namen fand, den er ausfindig zu machen beschlossen hatte, als er in Greers Büro beim CIA gewesen war.
Das war die Lieferung, mit der er Ehre einlegen würde, dachte Tucker, während er zusah, wie Rick und Billy alles einluden. Ein Teil davon würde
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