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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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beschäftigte, war die Zukunft.
    In Vietnam schien es immer einen Waldrand zu geben, einen Punkt, wo es vom offenen Gelände oder Ackerland in den Dschungel ging, und im Geiste war das die Stelle, an der die Sicherheit aufhörte und die Gefahr begann, weil Charlie in den Wäldern lebte. Sie war im Kopf, eine eher imaginäre als tatsächlich vorhandene Grenze, aber als er sich in dieser Gegend umschaute, war es genau das gleiche. Nur diesmal kam er nicht mit fünf oder zehn Kameraden in gefleckten Tarnanzügen angerückt. Er fuhr in einer Rostlaube über die Grenze. Ein Tritt aufs Gaspedal, und Kelly war mir nichts dir nichts im Dschungel und wieder im Krieg.
    Er fand eine Parklücke zwischen ebenso heruntergekommenen Autos wie seinem, stieg rasch aus, ganz so wie er früher von einem Hubschrauberlandeplatz weggerannt war, den der Feind entdecken und angreifen könnte, und steuerte auf eine Gasse zu, die mit Müll und verschiedenen weggeworfenen Geräten übersät war. Seine Sinne waren nun hellwach. Kelly schwitzte bereits, und das war gut. Er wollte schwitzen und riechen. Er nahm einen Schluck von dem billigen Wein und spülte sich damit den Mund aus, bevor er ihn über sein Gesicht und am Hals hinunter in die Kleidung laufen ließ. Er bückte sich kurz und beschmierte sich Hände, Unterarme und sogar das Gesicht mit Dreck. Nach kurzer Überlegung landete auch etwas davon auf seiner Perücke. Als Kelly in der Gasse am ganzen Häuserblock entlanggegangen war, war er bloß noch so ein Penner, einer von diesen Herumtreibern, von denen es hier in der Gegend sogar noch mehr gab als Drogendealer. Kelly paßte seinen Schritt der Situation an, er ging langsamer und wurde betont nachlässig in seinen Bewegungen, während seine Augen nach einem guten Beobachtungsposten suchten. Es war gar nicht so schwer. Etliche Häuser in der Gegend standen leer, und es ging nur darum, eines zu finden, das einen guten Ausblick bot. Das dauerte eine halbe Stunde. Er entschied sich für ein Eckhaus mit vorgewölbten Erkerfenstern im ersten Stock. Kelly betrat es durch die Hintertür. Er fuhr fast aus der Haut, als er zwei Ratten in den Trümmern dessen sah, was vor ein paar Jahren noch eine Küche gewesen war. Verdammte Ratten! Es war dumm, Angst vor ihnen zu haben, aber er fand ihre kleinen schwarzen Augen, die schorfige Haut und die nackten Schwänze geradezu widerlich.
    »Scheiße!« flüsterte er. Warum hatte er daran nicht gedacht? Jeder bekam vor irgend etwas Gänsehaut: Spinnen, Schlangen oder hohen Gebäuden. Bei Kelly waren es Ratten. Er ging durch den Flur und achtete sorgfältig darauf, Abstand zu halten. Die Ratten schauten ihn bloß an und huschten zur Seite, offenbar hatten sie aber weniger Angst vor ihm als er vor ihnen. »Leckt mich!« flüsterte er, als er sie ihrem Fraß überließ.
    Danach kam die Wut. Kelly stieg über die geländerlose Treppe nach oben und fand das Eckschlafzimmer mit den vorgewölbten Erkerfenstern. Er war wütend auf sich, weil er sich so dumm und feige hatte ablenken lassen. Besaß er denn nicht eine ausgezeichnete Waffe, um mit Ratten fertig zu werden? Was würden sie tun, sich zu einem Bataillon versammeln und gestaffelt angreifen? Bei diesem Gedanken mußte er in der Dunkelheit des Zimmers schließlich doch verlegen lächeln. Kelly kauerte sich bei den Fenstern hin und schätzte sein Gesichtsfeld und seine eigene Sichtbarkeit ab. Die Fenster waren verschmutzt und gesprungen. Einige Scheiben fehlten ganz, aber jedes Fenster hatte einen bequemen Sims, auf den er sich setzen konnte, und da das Haus an einer Straßenkreuzung lag, konnte er weit in alle vier Himmelsrichtungen sehen, da in diesem Teil der Stadt die Straßen exakt nach Norden und Süden sowie Osten und Westen ausgerichtet waren. Die Verkehrsadern waren so mangelhaft beleuchtet, daß die unten Vorbeigehenden keinen Einblick ins Haus hatten. Mit seiner dunklen, schäbigen Kleidung war Kelly in diesem baufälligen und verkommenen Haus sozusagen unsichtbar. Er holte ein kleines Fernrohr heraus und fing mit seiner Erkundung an. Seine erste Aufgabe bestand darin, die Umgebung kennenzulernen. Die Regenschauer zogen vorüber, aber in der noch feuchten Luft bildeten sich kleine Lichthöfe um die Straßenlampen, umschwärmt von Insekten, die ihrem endgültigen Schicksal entgegenflogen. Die Luft war noch warm, vielleicht noch dreißig Grad. Es kühlte nur langsam ab, und Kelly schwitzte ein bißchen. Sein erster analytischer Gedanke war der, daß er

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