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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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nicht gewachsen gewesen. Bedauerlich, aber davon ging die Welt nicht unter. Henry erhob sich aus seinem Sessel und streckte sich. Er hatte lange geschlafen, denn nachdem er vor zwei Tagen volle fünfzehn Kilo »Material«, wie er es jetzt immer häufiger nannte, bekommen hatte, war wieder einer dieser Bootsausflüge zum Abpacken fällig gewesen - und der forderte jetzt seinen Tribut. Allmählich wuchsen sich diese Fahrten, die zur Wahrung seiner vorzüglichen Deckung nötig waren, zu einer echten Tortur aus, dachte Henry. Aber gleichzeitig wußte er, daß er gefährlichen Gedanken nachhing. Diesmal hatte er die Leute lediglich bei der Arbeit beaufsichtigt. Damit waren zwar wieder zwei weitere in seine Geheimnisse eingeweiht, doch Henry hatte es einfach satt, Handlangerarbeiten zu tun. Schließlich hatte er dafür seine Untergebenen, unbedeutende Helfer, die wußten, daß sie unbedeutend waren und nur dann aufsteigen würden, wenn sie gehorsam seine Befehle ausführten.
    Frauen konnten das besser als Männer. Männer hatten ein Ego, das von ihrem produktiven Geist ständig gestreichelt werden wollte, und je beschränkter der Geist, desto größer das Ego. Früher oder später würde einer seiner Männer rebellieren, einen kleinen Aufstand anzetteln. Dagegen ließen sich die Nutten, die er einsetzte, viel leichter in Schach halten, und zusätzlich boten sie den Vorteil, daß er immer eine zur Verfügung hatte. Tucker lächelte.
    Gegen fünf Uhr wachte Doris auf. Das Pochen hinter ihren Schläfen verhieß einen weiteren Kater, teils wegen der Barbiturate, aber vor allem auch wegen der zwei Whiskeys, die ihr irgend jemand eingeflößt hatte. Der Schmerz machte ihr klar, daß sie einen weiteren Tag leben mußte, daß die Mischung aus Drogen und Alkohol nicht den Effekt erzielt hatte, den sie sich bei ihrem Blick in das Glas gewünscht hatte, bevor sie es nach kurzem Zögern vor versammelter Mannschaft leerte. Was nach dem Whiskey und den Drogen kam, wußte sie nur noch annäherungsweise. Es vermischte sich mit den Erinnerungen an so viele ähnliche Nächte, daß sie zwischen der gestern und den vielen davor kaum noch unterscheiden konnte.
    Sie waren jetzt vorsichtiger, hatten aus der Erfahrung mit Pam gelernt. Doris setzte sich auf, und ihr Blick fiel auf die Handschellen an einem ihrer Handgelenke. Durch das freie Teil war eine Kette gezogen, die an einem in die Wand gedübelten Haken befestigt war. Bei näherer Betrachtung wäre sie wahrscheinlich auf den Gedanken verfallen, den Haken aus der Wand zu reißen, was eine gesunde Frau mit entsprechender Entschlossenheit in ein paar Stunden durchaus geschafft hätte. Doch Flucht bedeutete den Tod, einen ausgesprochen schmerzhaften und langwierigen Tod. Zwar sehnte sie das Ende herbei, ein Ende ihres Lebens, das entsetzlichere Formen angenommen hatte als jeder Alptraum, aber noch mehr fürchtete sie den Schmerz. Sie stand auf und rasselte mit der Kette. Nach einem Augenblick kam Rick herein.
    »Hallo, Baby«, sagte der junge Mann mit einem Lächeln, das mehr Belustigung als Zuneigung ausdrückte. Er beugte sich über sie, schloß die Handschellen auf und wies aufs Badezimmer. »Geh duschen. Du hast es nötig.«
    »Wo haben Sie chinesisch kochen gelernt?« fragte Kelly. »Bei einer Krankenschwester namens Nancy Wu, mit der ich letztes Jahr zusammengearbeitet habe. Sie unterrichtet jetzt an der Universität von Virginia. Schmeckt es Ihnen?« »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Wenn Liebe durch den Magen geht, dann ist die Bitte um einen Nachschlag eines der größten Komplimente, das ein Mann einer Frau machen kann. Mehr als ein Glas Wein gestand er sich nicht zu, doch er stürzte sich so gierig auf das Essen, wie es die Tischsitten nur erlaubten.
    »Dabei ist es gar nicht besonders gut«, sagte Sandy, die ganz offen nach Komplimenten fischte.
    »Aber weitaus besser als das, was ich selbst zustande bringe. Wenn Sie vorhaben, ein Kochbuch zu schreiben, sollten Sie sich allerdings einen Vorkoster mit einem besseren Geschmack suchen.« Er blickte auf. »Ich war mal eine Woche in Taipeh, und das hier schmeckt beinahe genauso gut.« »Was haben Sie dort gemacht?«
    »Eine Art Genesungsurlaub nach einer Schußverletzung.«
    Kelly ließ es dabei bewenden. Nicht alles, was seine Freunde und er getan hatten, war für die Ohren einer Dame geeignet. Dann merkte er, daß er bereits zuviel gesagt hatte.
    »Tim und ich haben das auch - ich hatte vor, mich mit ihm in Hawaii

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