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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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wie möglich unter seinem Gewicht nachgeben konnte. Unbeirrt blickte er nach oben, weil es unten nichts mehr gab, was ihm Sorge bereiten konnte. Das Messer hatte er bereits in die Scheide zurückgesteckt. Statt dessen hielt er den .45er mit dem auf den .22er-Wechsellauf aufgeschraubten Schalldämpfer in der rechten Hand, während er sich mit der linken an der rissigen Mörtelwand abstützte.
    Etwa auf der Hälfte der Treppe hörte er von oben Laute, die das Pochen des Bluts in seinen Adern übertönten. Ein Schlag, ein Wimmern und dann Winseln. Gedämpfte, unmenschliche Laute, gefolgt von einem brutalen Lachen, kaum hörbar, selbst als er schon den Treppenabsatz erreicht hatte und sich nach links ihrem Ursprungsort zuwandte. Dann kam Atmen, schwer und schnell und tief.
    Oh... Scheiße! Doch er konnte jetzt nicht mehr zurück.
    »Bitte... « Bei dem verzweifelten Flehen klammerte sich Kellys Hand so fest um den Pistolengriff, daß seine Knöchel weiß hervortraten. Immer noch an die Wand gepreßt, schlich er vorsichtig über den Flur im Obergeschoß. Aus dem Schlafzimmer drang schwach der Widerschein der Straßenlaternen durch das verschmutzte Fensterglas, doch Kellys Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt, und so konnte er die Schatten an der Wand gut erkennen.
    »Was ist los mit dir, Doris?« fragte eine Männerstimme, als Kelly am Türrahmen angelangt war. So vorsichtig wie möglich spähte er um den lackierten Türpfosten herum.
    In dem Zimmer lag eine Matratze, und auf der Matratze kniete mit gesenktem Kopf eine Frau. Eine Männerhand knetete grob an ihren Brüsten und schüttelte sie dann. Als Kelly sah, wie sie in stummem Schmerz den Mund aufriß, trat ihm unversehens das Foto vor Augen, das der Detective ihm gezeigt hatte. Das hast du auch mit Pam getan, nicht wahr... du Mistkerl! Flüssigkeit tropfte vom Gesicht des Mädchens, und der Mann sah grinsend auf sie herunter, als Kelly mit einem großen Schritt ins Zimmer trat.
    Er sprach leichthin, locker und beinahe schon amüsiert, »Sieht aus, als ob es Spaß macht. Darf ich mitspielen?«
    Billy wandte sich um zu dem Schatten, der gerade gesprochen hatte, und sah die Automatik in seiner ausgestreckten Hand. Dann blickte er zu dem Häufchen Kleider und der Tragetasche. Nackt, wie er war, hielt er dennoch einen Gegenstand in der linken Hand, der aber weder Messer noch Pistole zu sein schien. Diese Hilfsmittelchen lagen etwa drei Meter von ihm entfernt und reagierten nicht auf Psychokinese.
    »Vergiß es, Billy«, sagte Kelly freundlich.
    »Scheiße, wer sind -«
    »Aufs Gesicht und die Beine auseinander, oder ich schieße dir auf der Stelle deinen kleinen Schrumpelschwanz ab.« Kelly senkte den Pistolenlauf. Es erstaunte ihn immer wieder, welche Bedeutung Männer diesem Organ beimaßen, so daß jede Drohung in diese Richtung sie sofort einschüchterte. Nicht einmal eine besonders ernste Drohung, wenn man den Umfang des genannten Zieles bedachte. Das Gehirn war viel größer und viel leichter zu treffen. »Runter! Auf der Stelle!«
    Billy tat wie geheißen. Kelly stieß das Mädchen zurück auf die Matratze und nahm das Elektrokabel vom Gürtel. Innerhalb weniger Sekunden hatte er dem Mann die Hände gefesselt und die Knoten gesichert. Dieser hielt in der linken noch immer eine Drahtzange, die Kelly ihm jetzt abnahm und benutzte, um das Kabel fester anzuziehen. Billy zog scharf die Luft ein.
    Drahtzangen?
    Herr im Himmel!
    Das Mädchen starrte Kelly schweratmend und mit aufgerissenen Augen an. Ihre Bewegungen waren träge, und ihr Kopf hing schlaff nach unten. Sie war ziemlich gründlich von Drogen benebelt. Dennoch hatte sie sein Gesicht gesehen, sie sah es immer noch an und prägte es sich ein.
    Warum mußt du hier sein? Das war nicht eingeplant. Du machst alles noch komplizierter, und eigentlich müßte ich... müßte ich...
    Wenn du das tust, Johnny, was bist du dann für ein Mensch?
    O Scheiße!
    In diesem Moment begannen Kellys Hände zu zittern. Das hier war eine echte Gefahr. Wenn er sie am Leben ließ, gab es jemanden, der wußte, wer er war - eine Beschreibung, die ausreichte, um eine ordentliche Fahndung in Gang zu setzen. Das wiederum würde - könnte - ihn daran hindern, sein Ziel zu erreichen. Doch noch größer war die Gefahr für seinen Seelenfrieden. Wenn er das Mädchen tötete, hätte er seine Seele für immer verloren. Dessen war er sich sicher. Kelly schloß die Augen und schüttelte den Kopf. Es hätte alles so einfach sein

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