01 - Gnadenlos
es verstehen.«
»Danke«, flüsterte Kelly. »Werden Sie damit fertig?« »Ich komme schon zurecht.«
»Ich schaue so bald wie möglich bei Ihnen vorbei. Was wir mit ihr anfangen sollen, weiß ich zwar noch nicht -« »Das lassen Sie nur meine Sorge sein. Wir werden uns schon was einfallen lassen.«
»Gut, Sandy... Sandy?«
»Ja, John?«
»Danke.« Die Leitung war tot.
Gern geschehen, dachte sie, als sie auflegte. Was für ein seltsamer Mann! Nach dem, was sein sachlicher Gesprächston ausdrückte, brachte er mit einer ihr bisher gänzlich unbekannten Unbarmherzigkeit - die sie auch gar nicht näher kennenlernen wollte - Menschen um, setzte ihrem Leben einfach ein Ende. Und doch hatte er sich die Zeit genommen und war das Risiko eingegangen, Doris zu retten. Wieder etwas, was sie nicht verstand, sagte sie sich, als sie eine Nummer wählte.
Dr. Sidney Farber sah ganz so aus, wie Emmet Ryan erwartet hatte: ungefähr vierzig, klein, mit Bart, jüdischem Einschlag, Pfeifenraucher. Als sein Besucher eintrat, stand Farber nicht auf, sondern wies ihm einfach mit einer Handbewegung einen Stuhl an. Ryan hatte dem Psychiater vormittags Auszüge aus den Akten der Fälle schicken lassen, und allern Anschein nach hatte der Arzt sie inzwischen gelesen. In zwei Reihen lagen sie aufgeschlagen auf dem Tisch.
»Ich kenne Ihren Partner Tom Douglas«, sagte Farber zwischen zwei Zügen an seiner Pfeife.
»Ich weiß, Sir. Er sagte, Sie hätten ihm im Gooding-Fall sehr geholfen.«
»Dieser Mr. Gooding war sehr krank. Ich hoffe, er bekommt die richtige Behandlung.«
»Und wie krank ist dieser hier?« fragte Lieutenant Ryan.
Farber blickte auf. »Er ist so gesund wie Sie und ich - körperlich eher noch gesünder. Aber das soll uns jetzt nicht interessieren. Sie sagten: ›Dieser hier.‹ Sie vermuten also, daß es sich bei allen Fällen um denselben Täter handelt. Warum?« Der Psychiater lehnte sich zurück.
»Zunächst wollte ich es nicht wahrhaben. Tom hat es eher erkannt als ich. Der Grund ist die fachmännische Ausführung.«
»Richtig.«
»Haben wir es hier mit einem Psychopathen zu tun?«
Farber schüttelte den Kopf. »Nein. Der echte Psychopath ist ein Mensch, der mit dem Leben nicht zurechtkommt. Er nimmt die Realität auf eine ganz persönliche, exzentrische Weise wahr, gewöhnlich völlig anders als unsereins. In fast allen Fällen zeigt sich diese Störung offen und unübersehbar.«
»Aber bei Gooding -«
»Mr. Gooding leidet unter - dafür gibt es einen neuen Begriff: Er ist ein organisierter Psychopath.«
»Nun gut, aber seinen Nachbarn ist er nicht aufgefallen.«
»Das stimmt. Mr. Goodings Störung fand ihren Ausdruck in der Grausamkeit, mit der er seine Opfer tötete. Aber bei diesem hier gibt es keinen rituellen Aspekt. Weder Verstümmelungen noch eine sexuelle Komponente - die sich gewöhnlich in Schnitten am Hals ausdrückt, wie Sie wohl wissen. Nein -« Farber schüttelte den Kopf - »dieser Kerl geht planmäßig zu Werke. Er findet dabei keinerlei gefühlsmäßige Befriedigung. Er bringt die Menschen einfach um, und das aus Gründen, die möglicherweise rational sind, zumindest für ihn.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ganz offensichtlich handelt es sich nicht um Raub, sondern um etwas anderes. Er muß sehr wütend sein. Mir sind schon früher Leute wie er über den Weg gelaufen.«
»Wo?« fragte Ryan. Farber zeigte auf die gegenüberliegende Wand. Dort hing ein in einen Eichenrahmen eingefaßtes Stück roter Samt mit einem Combat Infantryman's Badge - der Auszeichnung für absolvierte Kampfeinsätze -, die Jump Wings - das Fallschirm Springer abzeichen - und ein Ranger Flash. Der Kriminalbeamte gab sich keine Mühe, sein Erstaunen zu verbergen.
»Ich war damals ganz schön dumm«, erklärte Farber abwinkend. »Der kleine Jude wollte mal zeigen, was für ein Kerl er ist. Nun -« Farber lächelte »- das ist mir wohl gelungen.«
»Mir hat Europa nicht besonders gefallen, aber ich habe ja auch nicht seine schönen Ecken kennengelernt.«
»Bei welcher Einheit?«
»Luftlandetruppen«, erklärte der Kriminalbeamte, womit er zugab, daß er selber einmal ein dummer Junge gewesen war. Er erinnerte sich noch gut, wie spindeldürr er in jenen Tagen gewesen war, als er aus der Ladeluke der C-47 sprang. »Ich bin über der Normandie und Eindhoven abgesprungen.«
»Und Bastogne?«
Ryan nickte. »Das war kein Spaß. Aber wenigstens sind wir mit dem Transporter dorthin gebracht worden.«
»Gut. Und
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