01 - Gnadenlos
rechten Wange eine halb verheilte Narbe und auf Körper und Beinen weitere Schwellungen neueren Ursprungs. Sam prüfte ihre Augen auf die Pupillenreaktion. Sie war positiv - abgesehen vom totalen Mangel jeglicher Reaktion.
»Die Leute, die Pam ermordet haben«, antwortete der Chirurg leise.
»Pam?« fragte Doris.
»Kannten Sie sie? Woher?«
»Der Mann, der Sie hierher gebracht hat«, erklärte Sandy.
»Er ist der, den –«
»Den Billy erschossen hat?«
»Ja«, antwortete Sam. Erst dann erkannte er, wie dumm ihr Dialog für einen Außenstehenden klingen mußte.
»Ich kenne nur seine Telefonnummer«, sagte Billy, berauscht von dem hochkomprimierten Stickstoffgas. Das Nachlassen der Schmerzen machte ihn willfährig.
»Dann gib sie mir«, befahl Kelly. Billy folgte dem Befehl, und Kelly schrieb die Nummer auf. Mittlerweile verfügte er über zwei volle Seiten handschriftlicher Notizen, Namen, Adressen und ein paar Telefonnummern - dem Anschein nach recht wenig, doch weitaus mehr als noch vierundzwanzig Stunden zuvor.
»Wie kommen die Drogen ins Land?«
Billy wandte den Kopf vom Fenster fort. »Weiß ich nicht... «
»Laß dir was Besseres einfallen.« Zzzzuhhhhh...
Billy begann wieder zu schreien, doch diesmal unternahm Kelly nichts dagegen und sah nur zu, wie der Tiefenmesser auf fünfundzwanzig Meter kletterte. Billy begann zu würgen. Die Funktion seiner Lungen war gestört, und der keuchende Husten erhöhte den Schmerz, der jeden Quadratzentimeter seines gepeinigten Körpers durchdrang. Er wurde aufgebläht wie ein Ballon, oder eigentlich wie mehrere, kleine und große, die explodieren wollten und sich gegenseitig an der Ausdehnung hinderten. Einige waren stärker, andere schwächer, und die schwächeren füllten die wichtigsten Bereiche in Billys Körper. Die Augen taten ihm weh, sie schienen sich in den Höhlen auszudehnen, und daß sich die Nasennebenhöhlen ebenfalls erweiterten, machte es nur noch schlimmer. Es kam ihm vor, als würde sein Gesicht aus dem Kopf gerissen, und verzweifelt drückte er die Hände dagegen, um es an Ort und Stelle zu halten. Der Schmerz war schlimmer als alles, was er jemals gefühlt, und auch schlimmer als alles, was er anderen jemals zugefügt hatte. Er winkelte die Knie so weit an, wie es der Stahlzylinder erlaubte. Die Kniescheiben schienen Mulden in den Stahl zu graben, so fest drückte er sie dagegen. Die Arme konnte er noch bewegen, und in der Suche nach Erleichterung wand er sie um die Brust. Er konnte nicht einmal mehr schreien. Für Billy war die Zeit stehengeblieben und zur Ewigkeit geworden. Es gab kein Licht mehr und keine Dunkelheit, kein Geräusch und keine Stille. Alles, was er fühlte, war Schmerz.
»... bitte... bitte... « Das Flüstern drang zu Kelly über die Sprechanlage. Langsam ließ er den Druck ansteigen und hörte erst bei fünfunddreißig Metern wieder auf.
Billys Gesicht war fleckig geworden, wie von einem starken allergischen Ausschlag. Einige Blutgefäße waren geplatzt, vor allem aber eine große Ader an der Netzhaut des linken Auges. Das Weiß hatte sich zur Hälfte rot, fast schon purpurrot gefärbt, wodurch er noch verschreckter aussah als zuvor - wie ein böses Tier in der Klemme, und genau das war er ja auch.
»Meine letzte Frage lautete, wie die Drogen ins Land kommen.«
»Ich weiß es nicht«, jammerte er.
Kelly sprach ungerührt ins Mikrofon. »Billy, eins muß dir klar sein. Bis jetzt hat es - nun, es hat schrecklich weh getan. Aber ich habe noch nichts zerstört. Ich meine, du bist noch nicht wirklich verletzt.«
Billys Augen weiteten sich. Hätte er die Ereignisse kühl betrachten können, wäre ihm bewußt geworden, daß jedes Entsetzen irgendwann ein Ende haben muß, eine Erkenntnis, die ebenso falsch wie richtig gewesen wäre.
»Alles Bisherige können Arzte wieder in Ordnung bringen.« Das war nicht einmal unbedingt gelogen, und das, was folgte, noch weniger. »Aber das nächste Mal, wenn ich das Luftventil öffne, geschehen Dinge, die niemand wieder in Ordnung bringen kann. In deinen Augen platzen Blutgefäße, und du wirst blind. Auch Blutadern in deinem Gehirn werden platzen. Und beides kann man nicht mehr reparieren. Du wirst nicht nur blind, sondern auch verrückt. Und der Schmerz, der wird dir bleiben, dein ganzes Leben lang, Billy. Blind, verrückt und schmerzgebeutelt. Wie alt bist du? Fünfundzwanzig? Dann hast du ja noch einige Zeit vor dir. Vielleicht vierzig Jahre blind, verrückt und ein Krüppel. Also
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