01 - Gnadenlos
offiziell für tot halten sollen. Für das, was sie wissen, werden sie wahrscheinlich am Spieß gegrillt. Wir wissen, daß sie dort sind, und wenn wir nichts unternehmen... was macht das aus uns?« Kelly mußte sich beherrschen, denn auf einmal verspürte er den Drang, weiterzugehen und preiszugeben, was er sonst noch tat, weil er da jemanden gefunden hatte, der ihn vielleicht wirklich verstehen würde. Bei aller Besessenheit, mit der er Vergeltung für Pam suchte, lastete die Schuld doch immer schwerer auf seiner Seele,
»Vielen Dank, Mr. Clark. So was nenne ich verdammt noch mal einen Auftrag«, sagte Paul Irvin schließlich den Kiefern und den Fledermäusen. »Sie gehen also als erster rein und als letzter raus?«
»Ich arbeite nicht zum erstenmal allein.«
23 Selbstlosigkeit
»Wo bin ich?« fragte Doris Brown mit kaum hörbarer Stimme.
»Ja also, Sie sind bei mir zu Haus«, antwortete Sandy. Sie saß in der Ecke des Gästezimmers und schaltete die Leselampe aus und legte das Taschenbuch hin, in dem sie während der letzten paar Stunden gelesen hatte.
»Wie bin ich hierher gekommen?«
»Ein Freund hat Sie hergebracht. Ich bin Krankenschwester. Die Ärztin ist unten und macht das Frühstück. Wie fühlen Sie sich?«
»Entsetzlich.« Sie kniff die Augen zu. »Mein Kopf... «
»Das ist normal, aber ich weiß, daß es schlimm ist.« Sandy stand auf, ging zu ihr und legte dem Mädchen die Hand auf die Stirn. Kein Fieber, das war schon mal gut. Danach fühlte sie ihr den Puls. Stark, regelmäßig, wenn auch einen Tick zu schnell. Aus der Art, wie Doris' Augen zusammengekniffen waren, schloß Sandy, daß der ausgedehnte Barbiturat-Kater schrecklich gewesen sein mußte, aber auch das war normal. Das Mädchen roch nach Schweiß und Erbrochenem. Sie hatten versucht, sie sauber zu halten, aber das war vergebliche Liebesmüh gewesen, im Vergleich zu ihren übrigen Bemühungen auch nicht so wichtig. Jetzt würde sich das vielleicht ändern. Doris' Haut war fahl und schlaff, als wäre die Person darin geschrumpft. Seit ihrer Ankunft mußte sie etwa zehn oder fünfzehn Pfund abgenommen haben, was im Grunde ja gar nicht so schlecht war, aber gleichzeitig war sie so schwach, daß sie bisher die Gurte noch gar nicht bemerkt hatte, die um ihre Hände, Füße und Taille geschlungen waren.
»Wie lange?«
»Fast eine Woche.« Sandy wischte ihr mit einem Schwamm das Gesicht ab. »Sie haben uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.« Was noch untertrieben war. Nicht weniger als sieben Anfälle; der zweite hatte sowohl Schwester wie Ärztin beinahe in Panik versetzt, doch der siebte ein milder - lag jetzt schon achtzehn Stunden zurück, und die Vitalfunktionen der Patientin waren inzwischen stabil. Mit ein bißchen Glück war diese Phase der Genesung nun überstanden. Sandy gab Doris ein wenig Wasser zu trinken.
»Danke«, sagte Doris mit schwacher Stimme. »Wo sind Billy und Rick?«
»Ich weiß nicht, wer das ist«, erwiderte Sandy. Formal stimmte das. Sie hatte die Artikel in den Zeitungen durchgesehen, sich aber immer gescheut, Namen zu lesen. Schwester O´Toole redete sich ein, daß sie eigentlich gar nichts wußte, Es war eine nützliche innere Abwehr gegen ihre Gefühle, die so widersprüchlich waren, daß sie sie, selbst wenn sie sich die Zeit genommen hätte, alles genau zu durchdenken, nur noch mehr in Verwirrung gestürzt hätten. Jetzt war nicht die Zeit für nackte Tatsachen. Davon hatte Sarah sie überzeugt. Jetzt war es Zeit, auf den Wellen der Ereignisse zu reiten, nicht ihnen auf den Grund zu gehen. »Sind sie es, die Sie verletzt haben?«
Doris war nackt bis auf die Gurte und die übergroßen Windeln, die für Patienten verwendet wurden, die ihre Körperausscheidungen nicht mehr beherrschen konnten. So war sie leichter zu betreuen. Die entsetzlichen Male an ihren Brüsten und ihrem Oberkörper verschwanden allmählich. Die vorher häßlichen, markanten blauen, schwarzen, violetten und roten Flecken verblichen schon zu verschwommenen gelblich-braunen Malen, denn ihr Körper bemühte sich redlich, sich selbst zu heilen, Doris war jung, sagte sich Sandy, und wenn sie auch noch nicht gesund war, so konnte sie es doch werden. Gesund genug, um innerlich wie äußerlich zu genesen. Ihr infizierter Organismus reagierte bereits auf die reichlich verabreichten Antibiotika. Das Fieber war weg, und ihr Körper konnte sich nun eitel weltlichen Wiederherstellungsaufgaben zuwenden.
Doris wandte den Kopf und schlug die
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