01 - Gnadenlos
Waffe nach unten gerichtet - nichts. Fred sah die ganze Gebäudefront entlang.
»Scheiße!« Er drehte sich um und rief: »Da ist niemand unten!«
»Was?« Bobbys Kopf tauchte in der Öffnung auf, aber Fred schaute jetzt bei den Autos unten nach, ob da jemand lauerte.
Für Kelly bestätigte sich wieder, daß Geduld fast immer belohnt wurde. Dank dieser Einstellung hatte er das Jagdfieber unterdrücken können, das ihn immer packte, wenn er ein Ziel im Visier hatte. Sobald er aus den Augenwinkeln eine Bewegung an der Luke mitbekam, richtete er das Gewehr nach links. Ein hellhäutiges Gesicht, um die zwanzig, dunkle Augen, sah zum anderen Mann auf dem Dach hin. Auch dieser Mann hatte eine Pistole in der rechten Hand. Er war bloß noch ein Ziel. Kümmere dich zuerst um ihn. Kelly nahm ihn genau ins Fadenkreuz und drückte sanft ab.
Platsch. Fred wandte den Kopf, als er einen Ton hörte, den er mit etwas Feuchtem wie etwas Hartem assoziierte, doch es war nichts zu sehen. Er hatte nichts weiter gehört als diesen undefinierbaren Ton, doch nun gab es ein Geklapper, als wäre Bobby mit dem Stuhl vom Tisch gekippt und auf den Boden gefallen. Sonst nichts, aber aus einem unerfindlichen Grund setzte sich ein eiskaltes Gefühl in seinem Nacken fest. Er zog sich von der Dachkante zurück, schaute sich hektisch überall am Horizont um. Nichts.
Das Gewehr war neu, und das Schloß ging noch etwas schwer, als er die zweite Patrone schußbereit machte. Kelly schwenkte es wieder nach rechts. Zwei zum Preis von einem. Der Kopf drehte sich nun schnell herum. Er sah die Angst in dem Gesicht, denn sein Opfer wußte, daß Gefahr in der Luft lag, aber sonst rein gar nichts. Dann bewegte sich der Mann wieder auf die Luke zu. Das konnte Kelly nicht zulassen. Er schickte wieder etwa zwölf Zentimeter Blei auf die Reise, als er abdrückte. Pinggg.
Platsch. Das Aufschlaggeräusch war weitaus lauter als das gedämpfte Plop des Schusses. Kelly warf die verbrauchte Hülse aus und schob eine weitere Patrone nach, als ein Wagen in die O'Donnell Street einbog.
Tucker sah noch auf Bobbys Gesicht, als sein Kopf rasch nach oben schnellte, da er einen dumpfen Aufschlag hörte, der die Stahlträger des Dachs erschütterte. Das konnte nur ein weiterer Toter sein. »Oh, mein Gott... «
37 Höhere Gewalt
»Sie sehen viel besser aus als das letzte Mal Oberst«, sagte Ritter freundlich auf russisch. Der Sicherheitsoffizier stand auf und ging aus dem Wohnzimmer, überließ die beiden Männer sich selbst. Ritter hatte eine Aktentasche dabei, die er auf den Couchtisch stellte. »Bekommen Sie was Gutes zu essen?«
»Ich kann mich nicht beklagen«, sagte Grischanow träge. »Wann darf ich nach Hause?«
»Wahrscheinlich heute abend. Wir warten noch auf etwas.« Ritter öffnete die Tasche. Kolja wurde es etwas unbehaglich, aber er ließ sich nichts anmerken. Es hätte ja eine Pistole da drin sein können. Auch wenn seine Gefangenschaft ganz angenehm war und seine Unterhaltungen mit den Hausleuten hier freundlich abliefen, war er dennoch auf feindlichem Boden in der Gewalt des Gegners. Das ließ ihn an einen anderen Mann an einem fernen Ort unter ganz anderen Verhältnissen denken. Diese Diskrepanz nagte an seinem Gewissen und ließ ihn sich für seine Furcht schämen.
»Was ist das?«
»Die Bestätigung, daß unsere Leute im Hoa-Lo-Gefängnis sind.«
Der Russe senkte den Kopf und flüsterte etwas, das Ritter nicht mitbekam. Grischanow blickte wieder hoch. »Das freut mich zu hören.«
»Wissen Sie, das glaube ich Ihnen sogar. Ihr Briefwechsel mit Rokossowskij hat mir das klargemacht.« Ritter goß sich Tee aus der Kanne am Tisch ein und füllte auch Koljas Tasse.
»Sie haben mich anständig behandelt.« Grischanow wußte nicht, was er sonst sagen sollte, und das Schweigen lastete schwer auf ihm.
»Wir haben schon viel Erfahrung darin, mit sowjetischen Gästen umzugehen«, versicherte ihm Ritter. »Sie sind nicht der erste, der hier ist. Reiten Sie?«
»Nein. Ich habe nie auf einem Pferd gesessen.«
»Mhm.« Die Aktentasche war mit Papieren vollgestopft, sah Kolja und fragte sich, was sie wohl beinhalteten. Ritter nahm zwei große Karteikarten und ein Stempelkissen heraus. »Geben Sie mir bitte Ihre Hände.«
»Ich verstehe nicht.«
»Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.« Ritter ergriff die linke Hand, drückte die Finger nacheinander erst auf das Stempelkissen und dann auf die dafür angegebenen Felder der einen sowie der anderen
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