01 - Gnadenlos
Wasser schien zumindest einem ihrer Probleme ein angemessenes und unwiderrufliches Ende zu setzen. Kelly stand hinter ihr, die Arme um ihre Taille geschlungen, während er den durch die Bucht fahrenden Booten zusah. Er blickte in eine strahlende, vielversprechende Zukunft.
»Du hattest recht«, sagte sie und streichelte seine Unterarme.
»Das kommt manchmal vor«, erwiderte Kelly mit einem Anflug von Lächeln, aber was sie dann sagte, verschlug ihm die Sprache.
»Da sind noch andere, John, andere Frauen bei Henry... so wie Helen, die er umgebracht hat.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ich muß zurück. Ich muß ihnen helfen... bevor Henry bevor er noch mehr von ihnen tötet.«
»Das kann gefährlich werden, Pammy«, sagte Kelly langsam.
»Ich weiß... aber was soll aus ihnen werden?«
Kelly wußte, daß ihre Worte ein Zeichen ihrer Genesung waren. Sie war wieder ein normaler Mensch geworden, und normale Menschen machten sich Sorgen um andere.
»Ich kann mich ja nicht ewig verstecken, oder?« Kelly spürte ihre Angst, aber ihre Worte begehrten dagegen auf, und er drückte sie etwas fester an sich.
»Nein, natürlich nicht, nicht wirklich. Das ist das Problem. Es ist zu schwer, dauernd Verstecken zu spielen.«
»Bist du sicher, daß du deinem Freund bei der Polizei trauen kannst?« fragte sie.
»Ja; er kennt mich. Er ist ein Lieutenant, für den ich vor einem Jahr was erledigt habe. Irgend jemand hatte ein Gewehr über Bord geworfen, und ich hab ihm geholfen, es wieder rauszufischen. Also schuldet er mir was. Im übrigen ging die ganze Geschichte damit aus, daß ich ihre Taucher ausgebildet habe, und ein paar von denen sind jetzt meine Freunde.« Kelly verstummte. »Du mußt es nicht tun, Pam. Wenn du dich da einfach raushalten willst, hab ich absolut nichts dagegen. Ich muß nicht nach Baltimore zurück, außer wegen dieser Arztgeschichte.«
»Alles, was sie mir angetan haben, fügen sie auch den anderen zu. Wenn ich nichts unternehme, wird es mich immer verfolgen, oder nicht?«
Kelly dachte darüber nach, auch über seine eigene Vergangenheit, die ihn nie ganz loslassen würde. Vor manchen Dingen konnte man einfach nicht davonlaufen. Er wußte das. Er hatte es versucht. Pams Erfahrungen waren in gewisser Hinsicht schrecklicher als das, was er erlebt hatte, und wenn ihre Beziehung weiterbestehen sollte, mußten diese Dämonen der Vergangenheit endgültig zum Schweigen gebracht werden.
»Dann werde ich jetzt wohl mal einen kleinen Anruf tätigen.«
»Lieutenant Allen«, sagte der Mann im Western District in die Telefonmuschel. Die Klimaanlage funktionierte an diesem Tag nicht gut und auf seinem Schreibtisch stapelte sich unerledigte Arbeit,
»Frank? Hier John Kelly«, hörte der Kriminalbeamte, und sein Gesicht hellte sich auf.
»Wie ist denn so das Leben in der Bucht, Kumpel?« Wie gern wäre ich jetzt dort.
»Ruhig und faul. Und wie geht's dir?« fragte die Stimme.
»Das hätte ich auch gern«, antwortete Allen und lehnte sich in seinem Drehsessel zurück. Er war großgewachsen und wie die meisten Polizisten seiner Generation ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg - in seinem Fall ein Marineartillerist. Allen war vom Streifendienst auf der East Monument Street zur Mordkommission aufgestiegen. Die Arbeit war eigentlich nicht so anstrengend, wie die meisten dachten, aber daß man ständig mit dem vorzeitigen Ableben seiner Mitmenschen zu tun hatte, war schon eine schwere Belastung. Allen bemerkte gleich, daß Kellys Stimme anders klang als sonst. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich, ah, habe eine Person kennengelernt, die vielleicht mit dir sprechen sollte.«
»Wie das?« fragte der Kripobeamte, während er in der Brusttasche nach Zigaretten und Streichhölzern fingerte.
»Geschäftlich, Frank. Informationen zu einem Mord.«
Die Augen des Kripobeamten verengten sich ein wenig, während sein Gehirn umgehend einen anderen Gang einlegte. »Wann und wo?«
»Das weiß ich noch nicht, und ich will das alles auch nicht am Telefon besprechen.«
»Wie ernst?«
»Bleibt das vorläufig unter uns?«
Allen nickte und starrte aus dem Fenster. »Wird gemacht, okay.«
»Drogendealer.«
In Allens Kopf machte es klick. Kelly hatte von einer »Person« gesprochen. »Ein Mann« hatte er nicht gesagt. Kelly war schlau, aber in diesem Bereich nicht ganz so ausgebufft. Allen hatte dunkel etwas von einem Drogenring munkeln hören, der Frauen für so einiges einsetzte. Weiter nichts. Es war nicht sein Fall. Der
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