01 - Gnadenlos
über den halb zerstörten Randstein, eindeutig eine Panikreaktion. Pam kreischte bei dem plötzlichen Stoß auf.
Der Roadrunner war stärker, das wußte sein Fahrer. Bessere Reifen, bessere Bremsen, und der Mann hinter dem Steuer hatte ausgezeichnete Reflexe. Alles Dinge, die Kelly längst bemerkt hatte und auf die er nun zählte. Sein Bremsmanöver wurde nachgeahmt, und der Roadrunner bog ebenfalls ab, holperte über den bröckligen Zement des Abrißviertels, folgte dem Scout über das Gelände, auf dem kürzlich noch Wohnblocks gestanden hatten, und ging direkt in die Falle, die Kelly für ihn aufgestellt hatte. Der Roadrunner kam etwa fünfzig Meter weit.
Kelly hatte bereits heruntergeschaltet. Der Schlamm war gute zwanzig Zentimeter tief, und es war nicht ganz ausgeschlossen, daß der Scout vorübergehend steckenbleiben würde, aber man mußte nicht wirklich damit rechnen. Er spürte, wie der Wagen langsamer wurde und die Reifen ein paar Zentimeter in die zähe Masse einsanken, doch dann faßten die Reifen mit ihrem groben Profil und zogen wieder an. Ja! Erst dann drehte Kelly sich um.
Die Scheinwerfer waren beredt genug. Der Roadrunner, ohnehin tiefergelegt, damit man mit ihm schnittig über geteerte Stadtstraßen kurven konnte, scherte wild nach links aus, als die Reifen auf dem schleimigen Untergrund durchdrehten, und als dann das Fahrzeug langsamer wurde, bohrten sich die wirbelnden Räder nur noch weiter in den Dreck. Die Scheinwerfer versackten zusehends, während der starke Motor des Wagens sich sein eigenes Grab schaufelte. Und als der heiße Motor schließlich eine Wasserlache zum Kochen brachte, stieg augenblicklich Dampf auf.
Das Rennen war vorbei.
Drei Männer stiegen aus dem Wagen, standen dumm herum, ärgerten sich über den Schlamm an ihren glänzenden Aufschneiderschuhen und betrachteten ihr einst sauberes Auto, das da wie eine träge Muttersau im Schlamm saß. Was auch immer sie für üble Pläne gehabt hatten, war durch ein bißchen Regen und Schmutz vereitelt worden. Gut zu wissen, daß ich's noch kann, dachte Kelly.
Dann sahen sie die dreißig Meter zu ihm herüber.
»Ihr Strohköpfe!« rief er durch den Nieselregen. »Bis zum nächstenmal, Arschlöcher!« Er setzte sich wieder in Bewegung, natürlich vorsichtig, um sie auch weiter im Auge zu behalten. Damit hatte er das Rennen gewonnen, sagte sich Kelly. Umsicht, Grips, Erfahrung. Mumm auch, aber Kelly verscheuchte den Gedanken gleich wieder, nachdem er sich nur flüchtig damit abgegeben hatte. Behutsam dirigierte er den Scout wieder auf einen Pflasterstreifen, schaltete hoch und fuhr davon, während er darauf lauschte, wie Schlammklümpchen von den Reifen in den Radkasten geschleudert wurden.
»Du kannst wieder hochkommen, Pam. Wir werden sie eine Weile nicht mehr sehen.«
Pam folgte seiner Aufforderung und drehte sich nach Billy und seinem Roadrunner um. Als sie sah, wie nahe sie ihm war, wurde sie gleich wieder blaß im Gesicht. »Was hast du gemacht?«
»Ich hab mich nur an einen Ort jagen lassen, den ich mir selber ausgesucht hatte«, erklärte Kelly. »Zum Fahren auf der Straße ist das ein feines Auto, aber im Dreck ist es nicht so toll.«
Pam lächelte ihn an. Sie zeigte eine Tapferkeit, die sie im Augenblick nicht verspürte, und schloß damit die Geschichte nicht ganz so ab, wie Kelly sie gerne einem Freund erzählt hätte. Er schaute auf die Uhr. Noch etwa eine Stunde bis zum Schichtwechsel auf der Polizeiwache. Billy und seine Freunde würden ziemlich lange festsitzen. Das Schlaueste war jetzt, sich ein ruhiges Plätzchen zum Abwarten zu suchen. Außerdem sah Pam so aus, als müßte sie sich erst mal wieder beruhigen. Er fuhr eine Weile weiter, dann, als er ein unbelebtes Gebiet gefunden hatte, parkte er.
»Wie fühlst du dich?«
»Das war knapp«, erwiderte sie, wobei sie zu Boden sah und heftig zitterte.
»Hör zu, wir können direkt aufs Boot zurück und... « »Nein! Billy hat mich vergewaltigt... und Helen umgebracht. Wenn ich ihn nicht aufhalte, wird er das mit Leuten, die ich kenne, einfach weitermachen.«
Kelly wußte, daß ihre Worte ebensosehr dazu dienten, sich selbst zu überreden wie ihn. Er hatte das schon früher gesehen. Es war Mut, aber mit Angst gekoppelt. Es war das, was Leute dazu brachte, Einsätze durchzuführen, und auch der Grund, weswegen sie letztlich ausgesucht wurden. Weil Pam die Finsternis kannte und nun das Licht gefunden hatte, mußte sie dessen Glanz auch für andere erreichbar
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