01 - Gott schütze dieses Haus
Krankheit, die ihn tötete. Hast du schon einmal Menschen mit dieser Krankheit gesehen? Veitstanz. Sie haben ihren Körper nicht mehr in der Gewalt. Sie zucken und torkeln und springen und stürzen. Und am Ende verlieren sie auch noch den Verstand. Aber Paul nicht. Nein, Paul nicht.«
Ihr brach die Stimme. Sie holte tief Atem. Er strich ihr über das Haar und küßte sie auf den Scheitel.
»Das tut mir leid.«
»Er hatte gerade noch genug Verstand, um zu begreifen, daß er seine Frau nicht mehr erkannte, daß er den Namen seines Kindes nicht mehr wußte, seinen Körper nicht mehr beherrschte. Er hatte gerade noch genug Verstand, um für sich zu beschließen, daß es Zeit zum Sterben sei.« Sie schluckte. »Ich habe ihm geholfen. Das mußte ich tun. Wir waren Zwillinge.«
»Das wußte ich nicht.«
»Hat Nigel es dir nicht gesagt?«
»Nein. Nigel liebt dich, nicht wahr?«
»Ja.« Sie antwortete ohne Geziertheit.
»Ist er nach Keldale gekommen, um in deiner Nähe zu sein?«
Sie nickte. »Wir waren alle zusammen auf der Universität: Nigel, Paul und ich. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte ich Nigel vielleicht geheiratet. Er war damals noch nicht so zornig und bitter. Die Quelle seiner Bitterkeit bin ich, fürchte ich. Aber jetzt werde ich nie mehr heiraten.«
»Warum nicht?«
»Weil Huntington's Chorea eine Erbkrankheit ist. Ich bin Trägerin. Ich möchte sie nicht an ein Kind weitergeben. Es ist schlimm genug, Bridie jeden Tag sehen zu müssen und immer, wenn sie mal stolpert oder was fallen läßt, sofort zu fürchten, daß sie auch diese furchtbare Krankheit hat. Ich weiß nicht, was ich täte, wenn ich ein Kind hätte. Wahrscheinlich würde ich verrückt werden vor Angst.«
»Man braucht nicht unbedingt Kinder zu haben. Oder man könnte eines adoptieren.«
»Natürlich, Männer sagen das so. Nigel sagt das auch. Aber für mich hat eine Ehe keinen Sinn, wenn ich nicht auch ein eigenes Kind haben kann. Ein eigenes gesundes Kind.«
»War das Baby in der alten Abtei ein gesundes Kind?«
Sie richtete sich auf, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
»Im Dienst, Inspector? Eine merkwürdige Zeit und ein merkwürdiger Ort dafür, finden Sie nicht?«
Er lächelte reumütig. »Entschuldige. Der reine Reflex.« Aber dann fügte er doch hinzu: »War es gesund?«
»Wo hast du denn von dem Baby in der alten Abtei gehört? Nein, du brauchst es mir nicht zu sagen. In Keldale Hall.«
»Wie ich hörte, war es eine wahr gewordene Legende?«
»So ungefähr. Die Legende - die von den BurtonThomas bei jeder Gelegenheit gefördert wird - besagt, daß man manchmal in der alten Abtei nachts einen Säugling weinen hören kann. Die Realität ist, wie zu erwarten, weit weniger romantisch. Das Geräusch kommt vom Wind, wenn er gerade mit der richtigen Stärke durch einen Spalt in der Mauer zwischen dem nördlichen Querschiff und dem Mittelschiff hindurchpfeift. Das kommt mehrmals im Jahr vor.«
»Und woher weißt du das?«
»Mein Bruder und ich haben als Jugendliche einmal im Frühjahr vierzehn Tage dort gezeltet, weil wir hinter das Geheimnis kommen wollten. Wir haben selbstverständlich die Burton-Thomas nicht bloßgestellt, indem wir die Wahrheit ausposaunten. Aber es ist schon richtig, das Geräusch des Windes hat große Ähnlichkeit mit dem Weinen eines Kindes.«
»Und was ist mit dem richtigen Baby?«
»Aha, zurück zum Ausgangspunkt, hm?« Sie legte ihr Gesicht auf seine Brust. »Ich weiß nicht viel darüber. Pater Hart fand das kleine Ding vor ungefähr drei Jahren. Er entfachte bei den Leuten hier helle Empörung, und Gabriel Langston bekam den Auftrag, der Sache auf den Grund zu gehen. Der arme Kerl. Er hat nie etwas herausbekommen. Die Wogen glätteten sich nach ein paar Wochen. Das Kind wurde beerdigt, alle kamen, und damit war die Sache erledigt. Es war alles ziemlich unerfreulich.«
»Und du warst froh, als es vorbei war?«
»Ja. Ich mag keine Düsternis in meinem Leben. Ich will ein Leben voller Lust und Spaß.«
»Vielleicht hast du Angst vor anderen Gefühlen.«
»Ja. Aber am meisten Angst habe ich davor, so zu enden wie Olivia; einen Menschen so sehr zu lieben und dann zusehen zu müssen, wie er mir brutal von der Seite gerissen wird. Ich kann ihre Nähe kaum noch ertragen. Nach Pauls Tod versank sie im Nebel und tauchte nie wieder auf. So möchte ich nicht werden. Niemals.« Sie sprach das letzte Wort zornig, doch als sie den Kopf hob, sah er Tränen in ihren Augen. »Bitte, Thomas«, flüsterte
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