Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 - Gott schütze dieses Haus

01 - Gott schütze dieses Haus

Titel: 01 - Gott schütze dieses Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Dienstausweis zeigte. Über ihnen erklang immer noch die feine Gitarrenmusik.
    »Ist etwas passiert?« fragte die Frau. »Ich nehme an, Sie wollen zu meinem Mann, Pastor Clarence.«
    »Nein«, antwortete Barbara. »Das wird vielleicht gar nicht nötig sein. Ich suche diese junge Frau. Sie heißt Gillian Teys, aber wir vermuten, daß sie den Namen Nell Graham benützt.«
    Sie reichte der Frau die Fotografie, obwohl sie wußte, daß es gar nicht nötig war. Kaum nämlich hatte sie den Namen Nell Graham ausgesprochen, hatte sich das Gesicht der Frau verändert und ihr verraten, daß sie hier richtig war.
    Dennoch sah sich die Frau das Foto an. »Ja, das ist Nell«, sagte sie.
    Obwohl Barbara so sicher gewesen war, verspürte sie ein Gefühl von Triumph.
    »Können Sie mir sagen, wo ich sie erreichen kann? Ich muß sie dringend so rasch wie möglich sprechen.«
    »Sie ist doch nicht in Schwierigkeiten?«
    »Ich muß sie dringend sprechen«, wiederholte Barbara.
    »Ja, natürlich. Sie dürfen mir wahrscheinlich nichts sagen. Es ist nur -« Die Frau strich sich nervös übers Kinn. »Warten Sie, ich hole Jonah«, sagte sie impulsiv. »Das geht ihn an.«
    Ehe Barbara etwas erwidern konnte, eilte die Frau schon die Treppe hinauf. Gleich darauf brach die Gitarrenmusik abrupt ab. Ein Sturm von Protesten folgte, dann Gelächter. Schritte, die gedämpfte Stimme der Frau, die tiefere Stimme eines Mannes.
    Als er auf der Treppe erschien, sah Barbara, daß er der Musiker war. Er trug die Gitarre über der Schulter. Er war viel zu jung, um Pastor George Clarence sein zu können, doch er trug die Kleidung des Geistlichen, und die auffallende Ähnlichkeit mit dem Begründer von Testament House ließ Barbara vermuten, daß er der Sohn des Mannes war. Er hatte das gleiche klar geschnittene Gesicht, die gleiche hohe Stirn, die gleichen klugen, aufmerksamen Augen. Selbst das Haar trug er wie sein Vater, links gescheitelt, mit einem Wirbel über der Stirn, den kein Kamm bändigen konnte. Er war nicht groß, wahrscheinlich höchstens einen Meter siebzig, und zierlich gebaut. Aber die Haltung seines Körpers verriet innere Kraft und Selbstvertrauen.
    Er kam durch den Flur und streckte ihr seine Hand entgegen.
    »Jonah Clarence«, sagte er. Sein Händedruck war fest. »Meine Mutter sagte mir, daß Sie Nell suchen.«
    Mrs. Clarence hatte ihre Brille abgenommen. Sie kaute selbstvergessen an einem der Bügel, während sie mit gefurchter Stirn und aufmerksamen Blicken, die von einem zum anderen schweiften, ihr Gespräch verfolgte.
    Barbara reichte Jonah Clarence die Fotografie.
    »Das ist Gillian Teys«, sagte sie. »Ihr Vater wurde vor drei Wochen in Yorkshire ermordet. Sie wird als Zeugin gebraucht und muß mich dorthin begleiten.«
    Clarence zeigte kaum eine Reaktion, aber es schien, als könne er den Blick nicht mehr von Barbaras Gesicht wenden. Doch er zwang sich dazu, zwang sich, die Fotografie anzusehen. Dann blickte er zu seiner Mutter.
    »Es ist Nell.«
    »Jonah«, sagte sie leise. »Mein Junge ...« Ihre Stimme drückte tiefe Teilnahme aus.
    Clarence reichte Barbara das Foto zurück, richtete jedoch das Wort an seine Mutter.
    »Eines Tages mußte es ja passieren, nicht wahr?« sagte er, und man merkte ihm die Erschütterung an.
    »Jonah, soll ich ... Möchtest du ...?« Er schüttelte den Kopf.
    »Ich wollte jetzt sowieso weg«, antwortete er. Dann sah er Barbara an. »Ich bringe Sie zu Nell. Sie ist meine Frau.«

    Lynley betrachtete das Gemälde von der alten Abtei und fragte sich, wie er für seine Botschaft so blind hatte sein können. Die Schönheit des Bildes lag in seiner ruhigen Einfachheit, in der Hingabe an das Detail, in der Absage an jegliche Romantisierung der verfallenden Mauern und an jeden Versuch, die Ruine als etwas anderes darzustellen als das, was sie war: Relikt einer gestorbenen Zeit, das von kommender Zeit verschlungen wurde.
    Skeletthaft ragten die Mauern zu einem öden Himmel empor, als wollten sie aufsteigen, dem unvermeidlichen Ende zu entkommen, das unten auf sie wartete. Sie kämpften gegen das Pflanzenreich: Farne, die hartnäckig aus kargen Spalten wuchsen, wilde Blumen, die an den Rändern der Mauern des Querschiffs blühten, üppig wuchernde Gräser, die sich auf den Steinen, auf denen einst die Mönche im Gebet niedergekniet hatten, mit wilden Kräutern mischten.
    Stufen führten nirgendwohin. Geschwungene Treppen, die einst die Gläubigen auf dem Weg vom Kreuzgang zum Sprechzimmer, vom Aufenthaltsraum

Weitere Kostenlose Bücher