01 - Gott schütze dieses Haus
Wahrscheinlich glauben die meisten, es wäre eine Darstellung des Treibens der Hebräer, nachdem Moses sie allein gelassen hatte, um auf den Sinai hinaufzusteigen.«
»Und was stellen die Schnitzereien wirklich dar?« fragte Deborah, während sie dem Priester die Treppe hinauf folgten.
»Ein heidnisches Bacchanal«, antwortete er mit einem entschuldigenden Lächeln. Dann wünschte er ihnen einen schönen Morgen und verschwand durch die geschnitzte Tür beim Altar.
»Ein seltsamer kleiner Mann«, bemerkte Deborah, nachdem er weg war. »Woher kennst du ihn, Tommy?«
Lynley folgte Deborah durch die Kirche in den hellen Morgen hinaus.
»Er hat uns die Informationen über den Fall gebracht. Er hat den Toten gefunden.« Er berichtete ihr in aller Kürze von dem Mord, und sie hörte ihm zu, wie sie immer zugehört hatte, die weichen grünen Augen unverwandt auf sein Gesicht gerichtet.
»Nies!« rief sie, als er geendet hatte. »Wie furchtbar für dich. Tommy, das ist wirklich unfair.«
Wie typisch für sie, dachte er, gleich den Kern der Sache zu sehen, den wunden Punkt, der ihm persönlich zu schaffen machte.
»Webberly glaubte, meine Anwesenheit könnte ihn kooperativer machen. Weiß der Himmel, wieso«, sagte er trocken. »Leider scheine ich genau das Gegenteil zu bewirken.«
»Aber das ist doch schlimm für dich. Wie konnte er dir nach allem, was Nies dir in Richmond angetan hat, diesen Fall übertragen? Hättest du nicht ablehnen können?«
Er mußte lächeln über ihre Empörung.
»Diese Möglichkeit haben wir im allgemeinen nicht, Deb. Darf ich dich ins Hotel zurückfahren?« »Nein, nein«, antwortete sie sofort. »Das ist nicht nötig. Ich habe -«
»Natürlich. Das war gedankenlos von mir.«
Lynley stellte ihre Tasche zu Boden und blickte niedergeschlagen zu den Tauben hinauf, die oben auf dem Glocken türm schwatzten und flatterten. Deborah berührte seinen Arm.
»Das ist es nicht«, sagte sie sanft. »Ich hab' den Wagen hier. Er ist dir wahrscheinlich nicht aufgefallen.«
Jetzt erst bemerkte er den blauen Escort, der unter einer Kastanie stand. Er nahm wieder ihre Tasche und trug sie zum Auto. Sie folgte ihm schweigend.
Deborah sperrte den Kofferraum zu und wartete, bis er die Tasche verstaut hatte. Viel gewissenhafter, als für die kurze Fahrt nötig gewesen wäre, rückte sie die Tasche noch einmal zurecht, um dafür zu sorgen, daß ihren Geräten nichts geschah. Aber dann ließ es sich nicht länger vermeiden, sie mußte ihn ansehen.
Er betrachtete sie so eindringlich, als wolle er sich jeden ihrer Züge für alle Zeiten einprägen.
»Ich muß an die Wohnung in Paddington denken«, sagte er. »Wenn wir nachmittags dort zusammen waren.«
»Das habe ich nicht vergessen, Tommy.«
Ihre Stimme klang zärtlich. Doch das verstärkte nur seinen Schmerz. Er wandte sich ab.
»Erzählst du ihm, daß du mich getroffen hast?«
»Natürlich.«
»Und worüber wir gesprochen haben? Erzählst du ihm das auch?«
»Si weiß von deinen Gefühlen. Er ist dein Freund. Und ich bin deine Freundin, Tommy.«
»Ich will deine Freundschaft nicht, Deborah«, erwiderte er.
»Ich weiß. Aber ich hoffe, eines Tages willst du sie doch. Sie wartet auf dich.«
Er fühlte wieder ihre Hand auf seinem Arm. Ihre Finger drückten ihn flüchtig und ließen ihn wieder los. Sie öffnete die Wagentür, stieg ein und war fort.
Allein ging er zum Gasthof zurück.
Er war gerade auf der Höhe des Hauses von Olivia Odell, als sich das Gartentor öffnete und eine kleine Gestalt die Treppe heruntersprang. Ihr folgte die Ente.
»Warte, Dougal«, rief Bridie. »Mama hat dein neues Futter gestern in den Schuppen getan.«
Die Ente, die die Treppe sowieso nicht hinuntergekommen wäre, wartete geduldig, während Bridie die Schuppentür aufzog und im Inneren verschwand. Gleich darauf tauchte sie wieder auf, einen schweren Sack im Schlepptau. Lynley sah, daß sie eine Schuluniform trug, die allerdings ziemlich zerknittert und nicht allzu sauber war.
»Hallo, Bridie«, rief er.
Sie hob den Kopf. Das Haar sah nicht mehr ganz so schlimm aus wie am Vortag.
»Ich muß Dougal füttern«, erklärte sie. »Und dann muß ich in die Schule. Ich kann die Schule nicht ausstehen.«
Er trat zu ihr in den Garten. Die Ente verfolgte sein Näherkommen argwöhnisch. Ihr Blick wanderte ständig zwischen ihm und dem versprochenen Frühstück hin und her. Bridie schüttete eine gigantische Portion auf den Boden, und die Ente begann begierig mit den
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