01 - komplett
der Raum um sie, und alles verschwamm ihr vor den Augen.
„Lady Rowan?“
„Tut mir leid, ein Anflug von Schwindel.“ Natürlich war das nicht Lucas gewesen.
Liebe Güte, wenn sie jedes Mal Zustände bekam, sobald sie einen großen Mann mit dunklen Haaren entdeckte, würde sie binnen einer Woche dahinsiechen.
„Würden Sie mir die Ehre erweisen, mir einen Tanz zu schenken, Lady Rowan?“ Mal sehen, welcher junge Mann war das gleich noch mal? Ach ja – Mr. Maxwell. Sie lächelte und nickte, und sie einigten sich auf die zweite Tanzfolge. Hinter ihr erhob Lord Furness sein ziemlich lautstarkes Organ, um einen Neuankömmling zu begrüßen.
„Stoneley! Ich habe schon gehört, dass Sie von Ihren abgeschiedenen Gütern zurück sind. Kommen Sie, ich stelle Sie meiner Tochter und ein paar anderen hübschen jungen Damen vor, und dann erzählen Sie uns von Ihren Abenteuern.“
„Abgesehen von einem Hurrikan habe ich nicht viel erlebt, was als Abenteuer durchgehen würde, Furness. Weit und breit war kein einziger Pirat zu sehen.“
Die Stimme war tief, dunkel und klang belustigt. Ein Stäbchen von Rowans Fächer brach in ihren behandschuhten Fingern. Ich verliere den Verstand ...
„Also dann – an meine Frau erinnern Sie sich sicher, aber meine Tochter Annabelle haben Sie noch nicht kennengelernt. Und das ist Miss Anstruther, und dies ... ah ja ...
Lady Rowan, darf ich Ihnen Viscount Stoneley vorstellen? Stoneley, Lady Rowan Chilcourt.“
Langsam drehte sie sich zu dem Mann mit Lucas’ Stimme um, ein starres Lächeln auf den Lippen. Sie hatte Leute sagen hören, dass jemandem vor Schreck sämtliches Blut aus dem Gesicht wich, hatte das aber nie für möglich gehalten. Jetzt wurde sie eines Besseren belehrt. Es war eine unangenehme körperliche Empfindung, begleitet von einem Rauschen im Kopf und ...
„Wach auf. Verflixt und zugenäht, Daisy, Lady Rowan, wer immer du auch bist, mach die Augen auf!“ Energisch hatte Lucas darauf bestanden, sie in einen Ruheraum zu tragen, und erklärt, unverzüglich ihre Zofe zu Hilfe zu rufen. Lady Furness hatte ihm geholfen, hatte die anderen davongescheucht und ihnen gesagt, Lady Rowan brauche frische Luft, sie habe schon vorhin ein wenig benommen gewirkt.
Nicht auszudenken, was die Dame sagen würde, wenn sie ihn jetzt sähe: die bewusstlose Frau vor ihm auf dem Sofa, weit und breit keine Anstandsdame, die Tür verschlossen. Aber er konnte nicht riskieren, dass Daisy beim Erwachen irgendetwas Unbedachtes hervorstieß.
Was für eine verrückte Situation! Und doch halluzinierte er nicht, wie er anfangs befürchtet hatte, als er Daisy – Lady Rowan? – unter den Gästen erblickte. Nur widerwillig hatte er sich von Will überreden lassen, den Ball zu besuchen.
„Warum solltest du oben sitzen und Däumchen drehen?“, hatte Will ihn gefragt. „Du wirkst durch und durch melancholisch. Komm doch mit zum Ball. Keiner wird in dir meinen Kammerdiener vermuten.“
Und natürlich erkannte ihn niemand. Gut geschulte Dienstboten starrten die Gäste nicht an, und sie ließen aufgrund der flüchtigen Ähnlichkeit, die ein Viscount mit einem gewissen Kammerdiener aufwies, auch nicht die Fantasie mit sich durchgehen. Er hatte gehofft, unter all den Gästen Zerstreuung zu finden, Ablenkung von seinen Gedanken, die sich ständig um Daisy drehten. Aber natürlich beschwor dieser Ball nur die Erinnerungen an den vom Vorabend herauf, wie sie beim Walzer warm und empfänglich in seinen Armen und bei der Liebe heiß und leidenschaftlich in seinem Bett gelegen hatte.
Und dann hatte sich eine schlanke junge Dame zu ihm umgedreht, und er hatte gedacht, er verliere den Verstand. Zumal sie ihm als Lady Rowan vorgestellt wurde.
„Lucas?“
„Ja.“ Er kniete sich neben das Sofa und ergriff ihre Hand. Ihr Puls unter seinem Daumen ging heftig. „Ja, ich bin’s. Was glaubst du eigentlich, das du da tust? Wie willst du denn damit durchkommen, dich als Lady auszugeben?“
Sie öffnete die Augen und starrte ihn an. „Ich? Wie glaubst du denn ... Nein. Du bist wirklich Lord Stoneley, nicht wahr? Lord Furness kannte dich ja.“
„Ja, ich bin wirklich Lucas Dacre, Viscount Stoneley.“ Jetzt würde sie doch sicher begreifen, warum sie nicht zusammen sein konnten? Warum die Pflicht von ihm verlangte, dass er ihnen beiden das Herz brach?
Doch sie lächelte – nicht tapfer, sondern selig. „Und ich bin wirklich Lady Rowan Chilcourt. Lucas – warum um alles in der Welt hast du dich als Lord
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