01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
herschicken. Ich weiß zwar nicht, wie da der offizielle Dienstweg aussieht, aber auf diese Weise könnte man die Sache vielleicht von der hiesigen Polizei fernhalten.«
»Wir können es ja mal versuchen.« Lord Wentwaters Schultern sackten zusammen, als er die Notwendigkeit einsah, die Behörden einzubeziehen. »Danke dir, Hugh. James, sieh zu, daß ... daß das hier ins Bootshaus weggeschafft wird. Wir wollen schließlich nicht, daß irgend jemand aus Versehen das hier entdeckt.«
»Jawohl, Sir.«
Sir Hugh blickte den Toten an, der zu ihren Füßen auf dem Rücken ausgestreckt dalag. »Ich glaube, wir sollten noch ein paar Photographien machen, ehe er abtransportiert wird. Miss Dalrymple, bekämen Sie das wohl hin?«
»Lieber Gott, nein!« sagte Phillip, der nun endlich wieder in seine Beschützerrolle fiel. »Verflucht noch eins, man kann doch nicht eine junge Dame um einen derartig scheußlichen Gefallen bitten. Daisy, du solltest überhaupt nicht hier sein!«
Mit diesem Einspruch wurden alle ihre Bedenken beiseitegefegt. »Mach dich nicht lächerlich, Phillip. Selbstverständlich werde ich das tun. Ich hab James schließlich auch dabei geholfen, ihn herauszuziehen.«
Phillip bewachte sie wie eine nervöse Glucke, bis sie ihn schließlich losschickte, ihr das Stativ vom anderen Ende des Sees zu holen. Während sie die Filmrolle vollknipste, kehrte James mit ein paar Hilfsgärtnern zurück, von denen einer ganz aus dem Häuschen war, während die anderen eher furchtsam wirkten. Sie legten auf dem Schnee neben dem Pfad zum Haus eine Plane aus, die wie ein Leichentuch wirkte.
Der Tote war jetzt wieder eine Person, nicht mehr nur ein dunkles Muster im Sucher. Daisy wandte sich ab. »Ich werd mal hochgehen und die Bilder entwickeln«, sagte sie.
»Ich komm mit, meine Liebe. Es sei denn, du brauchst meine Hilfe, Beddowe?«
»Nein, geht ihr nur.«
Sie ließen James und die Gärtner ihre schreckliche Aufgabe verrichten und gingen den Pfad hinauf.
»Wirklich ein Riesenpech«, bemerkte Phillip, »wenn einem im eigenen Zierwasser die Gäste wegsterben. Man kann es Graf Wentwater wirklich nicht verdenken, daß ihm die Sache so nahe geht. Ich vermute mal, Lady Wentwater wird auch nicht allzu begeistert sein. Astwick war ein alter Freund von ihr, wie man so hört.«
»Das hat er mir auch erzählt.« Daisy war beeindruckt, wie die durch Wentwater Court wirbelnden Gefühlsströme am ahnungslosen Phillip ganz offensichtlich vorbeigeflutet waren.
»Eigentlich ja nicht gerade comme il faut , die Schnüffler ins Haus zu lassen«, fuhr er fort. »Ob mein Mütterlein wohl von mir erwartet, daß ich Fenella nach Hause bringe?«
»Bitte fahr jetzt nicht weg, Phil.« Sie spürte ein Bedürfnis nach seiner vertrauten, tröstlichen Gegenwart, auch wenn er eher ein Tolpatsch war. »Ich vermute, die Polizei wird mit Fenella reden wollen, schließlich hat sie die Leiche als erste gesehen. Möglicherweise wird sie sogar vor Gericht eine Aussage machen müssen.«
»Lieber Himmel, das würde aber mächtig für Aufruhr sorgen! Mein alter Herr wird mir was erzählen, wenn ich sie vor Gericht erscheinen lasse.«
»Ich bin mir sicher, daß man sie als Zeugin vorladen kann, ob du sie nach Hause fährst oder nicht. Aber schließlich hat sie nichts gesehen, was James und ich nicht auch gesehen haben. Die werden ihre Aussage wahrscheinlich nicht benötigen.«
»In Ordnung.« Er seufzte erleichtert auf. »Ich werde mal die Eltern anrufen, aber wenn sie nicht darauf bestehen, und wenn Fenella keinen Bammel bekommt, dann werden wir nicht weglaufen.«
Im Haus angekommen, zog Daisy sich in Sydney Beddowes Besen- und Dunkelkammer zurück. Es war ein kleiner, fensterloser Raum mit weißgekalkten Wänden und einem gefliesten Fußboden. Von einem Kabel an der Decke hing eine nackte Glühbirne herab. Am gegenüberliegenden Ende befand sich ein Spülstein mit einem Kaltwasserhahn; darüber lagen Holzlatten als Abtropfbretter. Eine lange Wand wurde von einem fleckigen Holztresen eingenommen, auf dem ordentlich die altmodische, aber gut erhaltene Ausrüstung aufgereiht war. Auch eine elektrische Lampe mit einer roten Glühbirne war vorhanden. In den leeren Regalen auf der gegenüberliegenden Wand waren früher offenbar Vorräte aufbewahrt worden.
Daisy vertiefte sich in ihre Arbeit und schaffte es, für ein paar Stunden das unangenehme Ende des unangenehmen Lord Astwick zu vergessen. Sydneys Vergrößerungsapparat war immer noch in bestem Zustand.
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