01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
stehen zu können. In grimmigem Schweigen hakte er einen Bootshaken in den Kragen der Jacke und befestigte einen anderen im Hosenbund. Ungeschickt zog er die Leiche an den Rand des Lochs, bekam sie aber nicht hochgehievt.
»Tut mir leid, das schaffe ich nicht allein.«
Daisy hängte sich die Kamera um den Hals, nahm den Haken, schloß die Augen und zog.
»Sie müssen ihn ein bißchen anheben.«
Sie gehorchte. Als die Leiche endlich auf das Eis rutschte, stolperte sie rückwärts, rutschte aus und fiel hin.
»Uff!
»Alles in Ordnung? Ich muß schon sagen, Daisy, Sie sind ein Pfundskerl.« James beugte sich hinab, um die Bootshaken zu lösen, und drehte den Leichnam um. »Astwick, der arme Kerl. Tot wie ein Fisch auf dem Wochenmarkt. Ich leg ihn mal auf die Bank.«
Daisy kam langsam wieder zu Atem und stand dann auf, um ihm zu folgen. Während James Lord Stephen über das Eis zerrte, schlappten seine Füße in den Schlittschuhen mitleiderregend zur Seite. Mit einem Schaudern wandte Daisy den Blick ab.
»Sieh mal einer an, der hat ja eine riesige Wunde auf der Stirn. Schauen Sie, da an der Schläfe. Man kann es kaum sehen, weil sein Gesicht ganz fleckig ist. Er muß sich selbst auf dem Eis K.o. geschlagen haben, als er hineingefallen ist. Ich hab mich schon gewundert, warum sich der arme Kerl nicht herausgezogen hat.«
»Dann hat er ja gar nicht gemerkt, daß er ertrinkt«, sagte Daisy und war von ihren grausigen Vorstellungen befreit. Das Geräusch von Stimmen am Hügel ließ sie aufschauen. »Da kommt Ihr Vater.«
Graf Wentwater, Sir Hugh und Phillip gesellten sich zu ihnen. Ernst standen sie im Kreis und starrten die sterblichen Überreste von Lord Stephen Astwick an. Alle außer Daisy, die die Männer beobachtete.
Wenigstens der Graf mußte doch Erleichterung verspüren.
Sein Gesicht verriet jedoch keine Regung außer der selbstverständlichen tiefen Sorge eines Mannes, dessen Gast auf seinem Grund und Boden einen tödlichen Unfall erlitten hat. Sir Hugh runzelte die Stirn; möglicherweise sah er unangenehme Nachforschungen über die Geschäfte des Opfers in der Stadt voraus. War er in stärkerem Maße in Astwicks Unternehmen verwickelt gewesen, als er zugeben wollte?
Phillip betrachtete den Leichnam mit einer Mischung aus Neugier und Widerwillen, als wären Leichen für ihn nichts Neues mehr. Von allen jungen Männern aus Daisys Freundeskreis, die den Krieg in Frankreich durchgemacht hatten, hatte er die wenigsten Spuren davongetragen. Vielleicht hatte ihn sein Mangel an Phantasie gerettet.
Und James, der seinen kurzen Militärdienst in der Sicherheit eines Londoner Ministeriums abgeleistet hatte, wirkte verdrießlich. Im Komplott gegen seine Stiefmutter fehlte jetzt ein wesentlicher Spielstein.
Sir Hugh rührte sich als erster und sagte: »Wir müssen die Polizei benachrichtigen.«
Graf Wentwater hob ruckartig den Kopf. »Ganz bestimmt nicht!«
»Ich fürchte, es geht nicht anders, Henry.«
»Dr. Fennis wird einen Totenschein ausstellen ...«
»Genau, und darin steht dann >Todesursache: Ertrinken<. Selbst du hättest keine Chance, ihn davon zu überzeugen, daß Astwick an einem Herzinfarkt im Bett gestorben ist. Jeder überraschende Todesfall muß untersucht werden, und ein Tod durch Gewalteinwirkung umso mehr, mag es sich noch so offensichtlich um einen Unfall handeln. Der Coroner wird auf jeden Fall einen polizeilichen Bericht verlangen.«
»Lieber Himmel, ich kann doch nicht zulassen, daß Wetherby seine Nase in meine Angelegenheiten steckt«
»Wetherby?« fragte Sir Hugh.
»Der Chief Constable dieses Landkreises«, erläuterte James.
»Er und Vater führen seit Jahren eine Fehde, über alles unter der Sonne. Colonel Wetherby würde so eine Gelegenheit nur zu gerne nutzen, uns in Stücke zu zerreißen.«
»Die Sache muß doch nicht unbedingt weitere Kreise ziehen als bis zu Ihrem blöden Dorfpolizisten«, sagte Phillip. »Ich meine, Ihren Constable. Der muß doch nur einen Blick auf die Leiche werfen, um bei der Untersuchung einen Unfall zu beeiden.«
»Job Ruddle?« James lachte. »Da sprichst du ein großes Wort gelassen aus, Petrie. Die Ruddles sind schon seit Jahrhunderten im Gefolge der Familie.«
»Das hier ist aber nicht die Art von Todesfall, die sich verschweigen läßt«, wandte Sir Hugh erneut ein. »Allerdings könnte ich eines tun, nämlich den Commissioner in London anrufen. Er ist ein alter Freund, und vielleicht kann er irgendeinen diskreten Officer von Scotland Yard
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