01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
Schemel«, sagte Daisy. »Der wird doch genau das Richtige sein.«
Piper sauste los, ihn zu holen und salutierte errötend, als Daisy ihm dankte. Dann ging er mit Tring los, und Alec lehnte sich mit einem Seufzen zurück, lockerte seine Krawatte und legte die Füße auf den bestickten Schemel.
»Ohne Ihre Stiefel haben Sie es bestimmt bequemer«, schlug Daisy vor.
»Aber es wäre ziemlich peinlich, wenn jemand hier hereinkommt, um ein Geständnis abzulegen, und mich ohne Schuhe erwischt.«
»Ich sage gleich dem Diener, er soll niemanden hereinlassen, ohne Sie vorher zu warnen. Und jetzt laß ich Sie auch gleich schlafen. Aber Sie wollten mir doch noch erzählen, was Lord Wentwater gesagt hat.«
Alec beugte sich vor und löste die Schnürsenkel. »Er hat bestritten, daß Astwick der Liebhaber seiner Frau war.«
»Sie hatten doch nichts anderes erwartet, oder?«
»Nicht wirklich.« Er zog die Stiefel aus und wackelte mit seinen Zehen, während er sich wieder zurücklehnte.
»Es läuft also auf die Frage hinaus, ob Sie ihm glauben, daß er glaubt, daß sie es nicht war.« Daisy sah, daß die Zehen an seinen dunkelblauen Socken sehr ordentlich gestopft waren.
Hatte er sie selbst geflickt, oder gab es eine Frau in seinem Leben? Sie blickte rasch wieder auf.
Mr. Fletcher schlief bereits, den Kopf zur Seite geneigt. Daisy holte ein Kissen und steckte es sanft zwischen seine Wange und das Ohr des Sessels. Er rührte sich nicht.
Ehe sie hinaufging, um ihre Notizen zu Ende zu schreiben, erkundigte sich Daisy nach dem Weg zu Lord Stephens Schlafzimmer. Es befand sich am Ende des Ostflügels und ging von einem Korridor ab, der parallel zu ihrem verlief. Die beiden Korridore waren wiederum durch einen dritten verbunden, von dem auf der einen Seite die gräfliche Suite, und auf der gegenüberliegenden Seite die Wäschekammer und weitere Schlafzimmer abgingen.
Als Daisy sich dieser Ecke näherte, trat gerade ein Hausmädchen aus einem Zimmer, einen Kohleneimer in der Hand.
»War das das Zimmer von Lord Stephen?« fragte Daisy sie.
»Nein, Miss, Mr. Geoffreys. Das da drüben ganz am Ende, auf der anderen Seite vom Badezimmer, das war Lord Stephens Zimmer. Aber grad ist die Polizei da drin, Miss.«
»Danke sehr.«
Das Zimmermädchen machte einen Knicks und verschwand durch eine Drehtür in der gegenüberliegenden Wand, die vermutlich zur Hintertreppe führte. Daisy ging zur Tür, die das Mädchen ihr gewiesen hatte, und trat ein.
Tring blickte sich um, und die Runzeln auf seiner Stirn glätteten sich wieder, als er sie erkannte. »Ach, Sie sind's, Miss. Braucht der Chief noch was?«
»Nein, er schläft tief und fest. Ich wollte nur mal hören, ob Sie wohl schon irgendwas gefunden haben.«
»Wir haben gerade erst angefangen. Der Chief wird's Ihnen bestimmt erzählen, wenn wir über was Interessantes stolpern. Sie waren eine große Hilfe, ganz ohne Zweifel.«
»Na ja, es war doch nur Glück, daß ich diese Photographien gemacht habe, und ...«
»Sergeant!« Piper tauchte aus dem Wandschrank auf, in den er sich hineingebeugt hatte, und wedelte mit einem braunen Umschlag in der Luft herum. »'tschuldigen Sie die Unterbrechung, Miss. Schauen Sie mal, das hab ich in einer Tasche in seinem Mantelfutter gefunden.«
»Du wirst es noch weit bringen, mein Junge, sehr weit sogar«, sagte Tring wohlwollend, nahm den Umschlag und öffnete ihn. »Nanu, was haben wir denn da? Das wird der Chief aber sehen wollen. Zwei, Pässe und ... Na, das haut doch den stärksten Mann um! Weil, da wollten Lord Stephen Astwick und sein Frettchen sich wohl aus dem Staub machen.«
»Weil ..., ich meine, warum?« fragte Daisy nach.
»Die beiden sind auf die S. S. Orinoco gebucht, die übermorgen um drei Uhr nachmittags von Southampton nach Rio fährt.«
8
»Müssen Sie ihn unbedingt wecken?« Daisy blickte auf den Chief Inspector im Sessel herab. Sein Gesicht war entspannt, und er sah um Jahre jünger aus.
»Liebe Zeit, Miss, der bringt mich um, wenn ich es nicht tue, und recht hätte er dabei. Ich werd schon zusehen, daß er heut' Abend ordentlich Nachtruhe hält, aber erst einmal müssen wir jetzt zurück nach Winchester.«
»Er hat gemeint, ich soll hierbleiben, Sergeant«, sagte Piper ängstlich. »Niemand darf hier weg. Aber wenn es einer doch versucht, was soll ich denn dann machen?«
»Der Chief erwartet nichts Unmögliches von dir, mein Junge. Du bist nur eine Erinnerung, nichts weiter, eine Erinnerung an die Hoheit des
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