01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
zur Saison in London, nicht wahr?«
»Nein. James und ich haben uns letzten Sommer auf einem Fest kennengelernt.«
»Na also. Schon verlobt, ehe du überhaupt in die Gesellschaft eingeführt worden bist. Einen Rohling wie James hast du doch gar nicht nötig.«
Sie hatten fast zu Ende gefrühstückt, als Phillip hereinkam und berichtete, daß alles in Ordnung gehen würde. »Tante Gertrude freut sich auf Fenellas Besuch, und ich hab die Eltern überredet, dem zuzustimmen. Ehrlich Daisy, altes Haus, das war eine verflixt gute Idee von dir, dann kann ich nämlich schon heute Abend zurückkommen, um nach dir zu schauen. Das hat mir doch ziemliche Sorgen bereitet, daß ich dich sonst fast zwei Tage hier hätte allein lassen müssen.«
Daisy mußte sich große Mühe geben, ihn nicht anzublaffen.
»Vielen Dank, das ist ganz lieb gemeint, aber ich kann dir versichern, daß ich durchaus in der Lage bin, selbst auf mich aufzupassen.«
»Wo ich gerade darüber nachdenke, meine Liebe, vermutlich würde unser Inspector-Freund dich auch abreisen lassen. Es wäre besser, wenn man dich zurück in die Stadt bringt, weg von dieser ganzen merkwürdigen Angelegenheit.«
»Ich reise aber nicht ab, Phillip«, informierte Daisy ihn durch zusammengebissene Zähne, »also spar deinen Atem lieber, um dein Porridge kühlzupusten. Fenella, ich geh jetzt in die Dunkelkammer. Willst du mitkommen oder lieber Phil Gesellschaft leisten?«
Fenella zog es vor, sie zu begleiten. Durchaus zufrieden spielte sie mit den Vergrößerungsobjektiven herum, während Daisy noch ein paar Abzüge machte. Irgendein freundlicher Mensch hatte ein Paraffin-Heizgerät in die Spülküche gestellt, so daß es einigermaßen gemütlich war, nachdem sich ihre Nasen an den Geruch des Öls gewöhnt hatten, der sogar den beißenden Gestank der Entwicklungsflüssigkeiten überlagerte.
Nachdem Daisy ihre Abzüge gemacht hatte, begutachtete sie noch einmal die vom Vorabend, die mittlerweile getrocknet waren. Darunter befanden sich die Bilder, die sie mit dem Magnesium-Blitz gemacht hatte und die sie besonders interessierten.
»Die Mißglückten habe ich natürlich nicht abgezogen«, erklärte sie Fenella, »also das eine, nach dem dein blöder Bruder mich beschuldigt hat, das ganze Haus in die Luft jagen zu wollen, und das, bei dem der Blitz versagt hat. Aber schau doch nur, dieses hier ist doch gar nicht so schlecht, und das da auch nicht.«
Wie erwartet zog Marjories schwarzweißes Kleid den Blick unvermeidlich auf sich. Daran war nun nichts mehr zu ändern, doch waren im Hintergrund der Halle der Kamin, der geschnitzte Fries, die Tapisserien und die antiken Waffen überraschend deutlich zu sehen. Selbst der Dolch von Königin Elisabeth war zu erkennen. Durch ein Vergrößerungsglas konnte man sogar die Details der Schnitzereien und die ernsten Gesichter der Familie ausmachen.
»Die sind ja wirklich gut«, sagte Fenella. »Erscheinen die dann wirklich in einer Zeitschrift?«
»Ja, obwohl ich natürlich nicht weiß, welche der Redakteur zur Veröffentlichung aussucht.« Sie nahm sich eine weitere Aufnahme aus der Serie in der Halle vor. Als sie sie durch das Vergrößerungsglas anschaute, keuchte sie erschrocken auf und warf dann Fenella einen raschen Blick zu.
»James sieht eigentlich gar nicht aus wie ein gefährlicher Typ«, sagte Fenella gerade. Sie hatte Daisy nicht gehört. »Ich weiß gar nicht, wie ich das hätte merken sollen.«
»Konntest du auch nicht. Sei einfach nur dankbar, daß du es noch rechtzeitig herausgefunden hast.« Daisy konnte sich noch an James' selbstzufriedenen Ausdruck erinnern, nachdem sie die erste gelungene Blitzaufnahme gemacht hatte. Wilfred hatte sorgenvoll ausgesehen, Lady Josephine durcheinander und Marjorie aufgebracht. Als Daisy sich umgewandt hatte, waren hinter ihr Annabel und Lord Stephen eingetreten. Damals war ihr nicht aufgefallen, daß diese vier der porträtierten Personen erst nach der Aufnahme reagiert hatten. Die anderen beiden waren schneller gewesen: Als sie von der Kamera aufgeschaut hatte, waren die Gesichter von Lord Wentwater und Geoffrey schon wieder regungslos gewesen. Vom Blitz geblendet, hatte sie die stürmischen Gefühle von Vater und Sohn nicht bemerkt, so eilig verborgen, doch jetzt im Abzug so deutlich sichtbar.
»Das sieht genauso aus wie die anderen«, sagte sie, als Fenella die Photographie in die Hand nehmen wollte. Sie ließ sie in den Stapel gleiten, den Fenella bereits angeschaut hatte.
Als
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