01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
schloß Annabel verzweifelt.
»Was für ein Unsinn! Das Ganze ist ganz allein seine eigene Schuld, und außerdem ist James gerne Landwirt. Alle Welt wird denken, er hätte sich dahin zurückgezogen, weil Fenella ihn nicht mehr heiraten will.« Es sei denn, er würde als Mörder angeklagt. »Was ist mit Geoffrey? Würde es Sie durcheinanderbringen, ihn zu sehen?«
Zögernd senkte Annabel den Blick auf ihre Hände. »Ich müßte ihm eigentlich danken, aber der ist auch in seinem Zimmer eingesperrt. Henry ist ihm zwar dankbar, daß er mich verteidigt hat, aber wegen dieser Schlägerei im Salon ist er sehr verärgert.«
»Er hat jedenfalls nicht gerade Salon-Manieren an den Tag gelegt, wie meine Kinderfrau gesagt hätte.« Daisy fragte sich, ob dies alles Annabel deswegen so peinlich war, weil sie wußte, daß Geoffrey in sie verliebt war. Aber sie hatte nichts davon gesagt, daß sie auch sein Leben zerstört hätte. War sich Lord Wentwater darüber im klaren, daß sein Sohn in seine Frau verliebt war? Noch eine gräßliche Situation, aber bei dieser hatte Daisy glücklicherweise nicht das Gefühl, sie müsse sich mit ihr befassen. »Kommen Sie, ich könnte jetzt einen Kaffee und einen Keks vertragen. Ich habe heute Morgen schon richtige Arbeit geleistet.«
Annabel lächelte bemüht, während sie aufstand. »Mir fehlt meine Arbeit. In Italien habe ich die Arrangements für englische Touristen getroffen, die dort eine Weile wohnen wollten Sie wissen schon, Dienerschaft einstellen und dolmetschen und diese ganzen Dinge. So habe ich ja auch Henry kennengelernt.« Sie hielt am Schminktisch inne und schaute in den Spiegel. »Du lieber Gott, ich kann doch nicht mit solchen Augen hinuntergehen. Das kalte Wasser hat ja überhaupt nicht geholfen.«
»Aber sie sind auch nicht mehr so schlimm wie vorhin, als ich hereinkam. Der Kontrast mit Ihren blassen Wangen betont sie nur. Versuchen Sie es doch mal mit etwas Rouge.«
»Damit kann ich nicht besonders gut umgehen. Meistens pudere ich mich nur ein bißchen.«
»Geht mir genauso, weil ich sowieso immer so schrecklich gesund aussehe. Ich wollte schon immer blaß und interessant wirken, so wie Sie. Aber ich hab Lucy zugeschaut, wie sie Rouge auflegt, und sie sieht immer großartig aus. Soll ich es mal probieren?«
»Na los!«
Beide waren sie mit dem Ergebnis zufrieden. »Und jetzt noch ein bißchen Lippenstift«, sagte sie. »Da. Jetzt fallen Ihre Augen überhaupt nicht mehr auf.«
Sie puderten sich rasch noch die Nase und gingen hinunter in den Damensalon. Der altersschwache Spaniel, der dort zu wohnen schien, watschelte zu Annabels Begrüßung hinüber.
Wilfred, der seine Tante tapfer mit dem neuesten Klatsch aus der Theaterwelt unterhielt, stand auf.
»Guten Morgen, Daisy. Guten Morgen ähm ... Mutter.« Er wurde rosarot und lachte verlegen. »Ich komme mir wie ein ziemlicher Idiot vor ...«
»Bitte nenn mich doch Annabel.« Ihre Augenlider blinzelten heftig, und sie biß sich auf die Unterlippe, während sie dem Hund den Kopf streichelte. Daisy befürchtete, daß Annabel ob Wilfreds rührender Geste wieder in Tränen ausbrechen würde, und drückte ihr die Hand.
»Dem alten Herrn würde das aber gar nicht gefallen«, widersprach Wilfred schüchtern und fuhr sich nervös mit der Hand über das Haar.
»Mach dir darum keine Sorgen. Das werde ich schon mit ihm besprechen. Ja?«
»In Ordnung, Annabel.«
»Na bitte«, sagte Lady Josephine, und ihr plumpes Gesicht strahlte vor Wohlwollen. »Es ist einfach so peinlich, wenn man nicht weiß, wie man sich anreden soll. Ihr modernen jungen Dinger seid immer so wunderbar gelassen, was diese Angelegenheiten betrifft. In meiner Jugendzeit wäre es undenkbar gewesen, daß ein Gentleman eine andere Dame als seine Schwester oder seine Ehefrau beim Vornamen nannte.«
Während der Morgenkaffee serviert wurde, plauderte sie ungestört weiter. Lord Wentwater und Sir Hugh gesellten sich zu ihnen, ebenso Phillip und Fenella. Es wurde Kaffee ausgeschenkt, Kuchen und Kekse wurden herumgereicht, und man konversierte höflich, als wäre Lord Stephen nicht ertrunken und als hätte James sich nicht so ehrlos aufgeführt. Einzig Phillips gedämpft gemurmelte Beschwerde an Daisy, der Chief Inspector sei ja immer noch nicht zurückgekehrt, erinnerte an die jüngsten Ereignisse.
Dann fing er jedoch eine ausführliche Geschichte über sein Automobil an, einen ältlichen Swift-Zweisitzer, von dem Daisy nun erfuhr, daß Phillip ihn durch dauernde
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