01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
Schwester? Du hast dich doch immer gut mit Violet verstanden. Sie und Frobisher würden dich doch bestimmt aufnehmen.«
»Ich wäre aber immer noch die verarmte Verwandtschaft, obwohl Vi und Johnnie wirkliche Schätze sind. Violet hat es ja Mutter recht gemacht und jung geheiratet, aber sie gibt mir trotzdem immer Schützenhilfe, wenn Mutter anfängt, mich wegen meiner Arbeit auszuschimpfen.«
»Wenn du mich heiratest, mußt du das nicht mehr.«
»Ich verdiene abergerne meinen Unterhalt, Phil. Ich schreibe gern. Ich würde damit nicht aufhören, nur weil ich geheiratet habe. Das verstehst du nicht, und außerdem würdest du mich irgendwann dafür verabscheuen.«
»Verlixt noch eins, Daisy, ich weiß ja, daß ich ein ziemlicher Dummkopf bin, aber ich hab dich verflucht gern.«
»Du bist wirklich lieb, aber es würde nicht gutgehen, glaube mir.«
»Du trauerst doch nicht etwa noch um deine Memme, oder?«
Aus Daisy brach es heraus: »Wehe, du nennst Michael noch einmal so!« Nur mit Mühe konnte sie ihre Wut unterdrücken. »Siehst du, wir sind praktisch in jeder Hinsicht anderer Meinung. Wir können ja vereinbaren, immer anderer Meinung zu sein. Bereitest du jetzt die Kugeln vor, oder soll ich das tun?«
»Sind wir dann trotzdem noch Freunde?« fragte Phillip schüchtern, während er in dem dreieckigen Rahmen Kugeln zurechtlegte.
»Natürlich, mein Bester. Du hast die weiße Kugel, du bist als erster dran.«
Freundschaftlich spielten sie ihr Spiel, und Daisy hütete sich strikt, auch nur ein Wort zu sagen, als er sie mit ein paar Punkten gewinnen ließ. Er wäre verletzt und verwirrt gewesen, hätte sie darauf bestanden, lieber mit Anstand zu verlieren.
Später, als sie in ihrem Bett lag und dem Regen lauschte, der vom Wind getrieben an ihr Fenster klatschte, dachte sie noch einmal über seine Frage nach. Trauerte sie noch immer um Michael? Sie würde ihn nie vergessen, niemals jene atemlose Freude darüber vergessen, mit ihm zusammen zu sein, um seine Liebe zu wissen. Doch hatte der beißende Schmerz des Verlustes nachgelassen. Waren es Annabels Mitleid, ihr Respekt für Michaels Mut und seine Hingabe gewesen, die es Daisy möglich gemacht hatten, langsam loszulassen?
Auch Annabel hatte einen Mann geliebt, den die Gesellschaft verachtete, und auch sie hatte ihn verloren. Daisy schwor sich, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihre neue Freundin vor den Sorgen zu beschützen, die Astwicks Tods bestimmt für sie noch nach sich ziehen würde.
Im Moment wollte Daisy nicht weiter über diesen rätselhaften Mord nachdenken. Wenn sie jetzt den Versuch unternahm, über die neuen Verwicklungen nachzudenken, würde sie niemals einschlafen. Anstatt mit Spekulationen wollte sie sich durch die Erinnerung an glückliche Stunden mit Michael in den Schlaf wiegen.
Nur, daß sich irgendwie immer wieder Alecs dunkle Augenbrauen und seine scharfsichtigen grauen Augen dazwischendrängten.
Nach einer ruhelosen Nacht voll wirrer Träume, fiel Daisy endlich kurz vor dem Morgengrauen in einen tiefen Schlaf. Sie wachte später auf als sonst. Als sie zum Frühstück hinunterging, sah sie Detective Constable Piper am Telephon in der Halle sprechen.
Allerdings sprach er weniger, als daß er zuhörte und eifrig mitschrieb, bemerkte Daisy. Sie blieb knapp außer Hörweite stehen. Als Piper endlich den Hörer auflegte, war sein Gesicht vor Aufregung ganz angespannt, und er starrte so konzentriert in seine Notizen, daß er Daisy überhaupt nicht bemerkte. »Da schau mal einer an«, sagte er mit einem langen Seufzer. »Das wird ja mal mächtig für Aufregung sorgen, aber wirklich.«
»Was ist denn passiert?« fragte Daisy. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Mit wem haben Sie denn gesprochen?«
Überrascht blickte er auf. »Mit Dr. Renfrew, Miss, dem Gerichtsmediziner«, platzte es aus ihm heraus. »Ich hab gesagt, er soll mir das mal mit normalen Worten verklickern. Die Sache mit den blauen Flecken und Blutbeulen, wissen Sie noch? Da hatten Sie nämlich recht. Also, es scheint, als wären die Wunde auf Astwicks Stirn und der Bluterguß auf seinem Kinn ...«
»Er hatte einen Bluterguß auf dem Kinn?« Daisy erinnerte sich an das schrecklich fleckige Gesicht des Ertrunkenen.
»So sagt er, Miss. Es scheint, daß die nicht danach aussahen, als wäre Astwick gleich sofort in eiskaltes Wasser getunkt worden. Also hat Dr. Renfrew noch weitere Untersuchungen gemacht, wie ich Ihnen gestern Abend ja schon gesagt
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