01 - Neptun kann warten
Bewusstseins zurückgezogen. Doch die Antworten waren alle in Bandicuts Verstand, all die Antworten auf Fragen, die Bandicut eventuell stellen würde, sobald ihm der Sinn danach stünde.
Bandicut wollte flüchten, den Fragen ausweichen. Aber er wurde von einer Armee aus Information eingekesselt: leuchtende Datenpunkte, welche ihm die Evolution von Charlies Plan offenbarten. Ohne es wirklich zu verstehen, sah Bandicut die Torsion des Raumes, mit deren Hilfe er das Sonnensystem rasend schnell durchqueren könnte; und er sah die atemberaubende Einfachheit in den Möglichkeiten des Translators, dessen Macht, den Kometen abzufangen und zu zerstören. Er sah sogar die Zahlen, die Wahrscheinlichkeit, mit der das Manöver ihn das Leben kosten würde, die Eins-zu-zwei-Chance, dass er das Überleben der Erde mit seinem eigenen erkaufte. Und er sah die womöglich größte Unbekannte in der Projektion: den eigentlichen Diebstahl des Schiffes; denn hier gab es Unwägbarkeiten, menschliche Faktoren, die sogar das Quarx und die Wissenschaft seines Translators nicht eindeutig zu berechnen vermochten.
Nicht zum ersten Mal ertappte Bandicut sich bei dem Gedanken, was sich Charlie wohl von dem Unterfangen versprach. Was ging ihn die Angelegenheit eigentlich an? Warum war er bereit, dieses Risiko für die Erde einzugehen?
Die Fragen flössen über eine vom Wind gepeitschte Ebene davon, und er erhaschte kurze Einblicke in Charlies vergangene Leben, nichts als leuchtende Geister in der Nacht. Charlie hatte versucht, seinen Wirten zu helfen, mit denen er unversehens eine Partnerschaft eingegangen war. Und Bandicut erkannte flüchtig, dass sogar Charlie sich mitunter fragte, wieso das alles geschah. Da war wieder jenes düstere Gefühl des Verlustes in Charlies Vergangenheit, das Gefühl, dass er irgendwie auf der Suche nach … was suchte er? Antworten? Erlösung?
Bandicut fühlte eine ungestüme, rasende Benommenheit, als die Fuguen-Bilder wieder in der Dunkelheit verschwanden; er rang nach Luft und fand einen Moment der Ruhe und des Friedens, ein Gefühl, als treibe er in der freundlichen Dunkelheit auf friedlichem, sanft plätscherndem Wasser. In diesem Moment sammelte er seine Gedanken, dachte an die Erde, an Verpflichtungen und Verantwortung; er dachte an die kleine Dakota, die nur deshalb über für ihre Altersstufe ungeeigneten Unterrichtssimulationen hockte, weil sie um jeden Preis in den Weltraum wollte; und er dachte an einen Regen des Todes, den nur er aufzuhalten imstande war. Er dachte an Julie, mit bittrem Schmerz, und wünschte sich beinahe, er könne wütend auf sie sein, anstatt zuzulassen, was er tatsächlich für sie empfand; denn wäre er wütend auf sie, fiele ihm der Aufbruch so viel leichter …
Er öffnete die Augen, und die letzten Wogen der Fugue verebbten. Sein Blick wanderte von der Decke zum Feuer, auf Julies teilweise nackte Gestalt. Und er wusste, nicht mit seinem Verstand, sondern in seinem Herzen, dass das Quarx die Wahrheit sagte und er wirklich keine Wahl hatte.
Einige Momente lang sah er Julie einfach nur an und ließ zu, dass seine aufgewühlten Gefühle durch seinen Verstand wirbelten. Schließlich setzte er sich auf, kletterte vorsichtig über sie hinweg und blieb neben ihrer Koje stehen. Er überprüfte seine Hosentasche und überzeugte sich davon, dass Charlies Steine noch darin waren; dann trat er an Julies Com-Terminal und begann, leise zu schreiben.
***
»… erzähle ich dir all das, weil ich unbedingt will, dass jemand die wahren Beweggründe für mein Handeln erfährt. Und weil ich dir mehr vertraue als sonst jemandem auf diesem gottverlassenen Mond – was das betrifft, gibt es vielleicht sogar niemanden, dem ich mehr traue als dir. Und ich erzähle dir das alles, weil … es mir so Leid tut, dass ich auf diese Weise fortgehen muss.
Julie … wenn ich mehr Zeit hätte, dich kennen zu lernen, ich glaube, ich würde …« Was? Mich in dich verlieben?
Er zögerte und versuchte zu entscheiden, wie er den Brief beenden sollte. Schließlich wollte er nicht wie ein Idiot klingen. War es Verliebtheit oder nur Hunger nach körperlicher Liebe, oder war das, was er da fühlte, etwa der Anfang der großen Liebe? In jedem Fall war er dabei aufzubrechen, vielleicht würde er niemals zurückkehren, welchen Unterschied machte es also, wenn er sich zum Narren machte? Ein verirrter Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Wenn Charlie noch immer mit dem Translator in Kontakt stand, könnte er dann
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