01 Nightfall - Schwingen der Nacht
beide Hände, beugte sich vor und küsste ihn. Er schmeckte Jay auf ihren Lippen und ihrer Zunge, schmeckte auch sie – herb und verführerisch. Er biss sie in die Lippe und saugte das Blut auf, das aus der kleinen Blessur trat. Sie keuchte und stöhnte auf.
Brennend. Unruhig. Gefährlich.
Kind …
Bebend beendete Dante den Kuss. Er leckte ihre Unterlippe, bis das Bluten nachließ und sich der Kratzer langsam schloss. Gina betrachtete ihn aus halb geschlossenen Augen. Schlaftrunken. Glücklich. Er streichelte mit bebenden Fingern ihr Kinn. Schweiß lief ihm über die Schläfe.
Gina legte einen Finger auf seine Lippen. »Wir müssen jetzt gehen, Hübscher«, flüsterte sie und glitt von seinem Schoß. »Morgen wieder?«
Schmerz bohrte sich wie ein Eispickel in sein Hirn. Er merkte, wie er die Kontrolle verlor. Also ließ er Gina wortlos gehen. Jay beugte sich zu ihm und gab ihm ebenfalls einen Kuss.
»Morgen«, flüsterte der Sterbliche. Er nahm Ginas Hand und führte sie die Stufen hinab. Gina winkte Dante zu, ein spitzbübisches Lächeln auf den Lippen.
Morgen.
Dante sah den beiden nach, als sie den Club verließen.
4
DER ENDLOSE FALL
Bourbon lief in Thomas Ronins Whiskyglas und sah im Dämmerlicht wie dunkler, flüssiger Bernstein aus. Der Barkeeper zog die Kreditkarte, die Ronin auf die Theke gelegt hatte, durch die Maschine und schlenderte dann zum nächsten Gast an der langen, polierten Theke. Ronin nahm sein Glas und drehte sich um.
»Sieht aus, als hättest du es verpatzt«, meinte E mit affektiert klingender Stimme. Er schüttelte eine Zigarette aus einem zerknitterten Päckchen, schob sie sich zwischen die Lippen und zündete sie mit einem silbernen Feuerzeug an.
Ronin nahm ihm die Kippe aus dem Mund und ließ sie auf den Boden fallen, wo er sie mit der Spitze seiner Schlangenlederstiefel austrat. »Tu mir den Gefallen«, meinte er, »und sag mir, wie ich es verpatzt haben soll.«
E warf Ronin einen Blick zu. Seine Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt, und auf seinem Gesicht zeigte sich ein breites Grinsen. Er schüttelte eine weitere Zigarette aus dem Päckchen, schob sie sich wieder zwischen die Lippen und zündete sie an. Dann blies er Ronin den grauen Rauch ins Gesicht. »Du denkst, du weißt Bescheid, was, Tommy-Boy? «
Ronin nickte und schlürfte seinen Bourbon. »Schon.«
»Ehrlich?« Es Grinsen wurde noch breiter. »Wusstest du
auch, dass die Tussi, die da gerade mit Dante redet, Special Agent Heather Wallace ist?«
Ronins Hand zögerte einen Moment lang, ehe er weiter den Rauch wegwedelte. Er hob die Sonnenbrille ein wenig und starrte die Frau im Trenchcoat an, die auf dem Podest stand. Ja, das war sie – die Profilerin, die auf den Cross-Country-Killer angesetzt war.
»Selbst das Verändern des Modus Operandi und der Signatur und der ganze Scheiß haben sie nicht von der Fährte abgebracht«, sagte E voller Stolz auf seine gingeschwängerten komplizierten Wörter. »Mir war das klar. Heather ist nicht auf den Kopf gefallen.«
Es bewundernder Tonfall ließ Ronin den Blick auf ihn richten. Er starrte Agent Wallace mit dem Ausdruck eines Verliebten an. Oder mit dem, was ein kranker, kaputter Typ wie E für Liebe hielt.
Ronin trank seinen Bourbon aus. Er brannte in seinen Adern und weckte eine andere Art Gier. Er beobachtete Dante und die Frau. Der Kerl war beeindruckend. Seine Bewunderung ging aber über Dantes atemberaubende äußere Anmut weit hinaus. Er hatte Dantes Akte gelesen. Er wusste, was der Junge war und was er sein konnte.
De Noir stand hinter dem geschmacklosen Thron wie eine dieser Statuen, die die Mausoleen von St. Louis Nr. 3 bewachten. Was war De Noir? Kein Vampir. Etwas anderes. Etwas, was – wie Ronin vermutete – viel älter und mächtiger war.
Agent Wallaces attraktives Gesicht sah trotz des Zorns, der ihre Bewegungen abrupt wirken ließ, ruhig aus. Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging die Stufen zur Tanzfläche hinunter. Dann verschwand sie in der Menge.
Ronin wandte sich wieder der Bar zu. Er gab dem Barkeeper in Gedanken einen sanften Stoß, und dieser füllte sein Glas nach. Ronins Puls raste. In all den Jahrhunderten habe
ich noch nie jemanden wie Dante gesehen oder gefühlt. Er kippte den Bourbon in einem Schluck hinunter. Er lief brennend den Hals hinab in den Magen, ohne dass Ronin ihn schmeckte.
E erinnert sich an seine Vergangenheit. Dante nicht. Warum? Sprang Johanna wegen seiner Abstammung mit Dante härter um? Trieb
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