01 Nightfall - Schwingen der Nacht
die Bilder. Womit?
Sein erster Impuls war, Dante so in seinen Armen zu behalten und mit ihm nach Hause zu fliegen. Sobald sein Kind in Sicherheit war, würde er zurückkehren. Dann würden Jordan und Moore einen Tag der Abrechnung erleben, einen Jüngsten
Tag in der Tradition der Elohim, und einen alttestamentarischen Tod.
Doch draußen brannte das Tageslicht. Er musste bis Sonnenuntergang warten, bis er Dante heimbringen konnte. Er beugte sich vor und drückte seine Lippen auf die Dantes, um ihm Kraft einzuhauchen – genau wie er es getan hatte, als Agent Wallace mit dem Durchsuchungsbefehl gekommen war. So weckte er sein Kind aus dem Schlaf . Aus der Asche, in der es lag, die Arme sehnsüchtig um ein kleines Mädchen geschlungen.
Schmerz schlug gegen Luciens Schilde. Er holte tief Luft und wehrte ihn ab. Mit den Fingerkuppen berührte er Dantes Schläfen, um kühles Licht in den schmerzverwüsteten Geist und den fiebrigen Leib seines Sohnes fließen zu lassen.
Dante atmete tief ein. Er schlug die Augen auf und sah Lucien an, doch in den geheimnisvollen Tiefen seiner Pupillen zeigte sich kein Erkennen. Er stieß Lucien vielmehr zurück und rollte auf die Knie. Mit sprungbereitem Körper und angespannten Muskeln fauchte er Lucien an.
Eisige Angst erfasste Lucien. War Dante ganz dem Wahnsinn anheimgefallen? War er ein ungebundener Creawdwr , der den Verstand verloren hatte? Oder lag es einfach am Schlaf , der ihn noch nicht ganz freigegeben hatte? Es war immer riskant, jemanden aus dem Schlaf zu wecken.
Lucien hob beruhigend eine Hand. »Dante, Kind, du bist in Sicherheit. Ganz ruhig.«
»Nicht Dante«, flüsterte eine Stimme. Jordan. »Das ist S.«
»S gibt es nicht«, sagte Lucien. »Nur Dante. S ist ein Teil von dir, Kind. Den Zorn, den du unterdrückst, der Schmerz, den du ignorierst.«
»In letzter Zeit hat er seinen Zorn nicht unterdrückt«, mischte sich Jordan erneut ein.
Ohne die Augen von Dante zu wenden, wies Lucien mit dem Finger auf den Sterblichen. Ein Energieblitz fuhr in den Mann. Er stieß einen Schrei aus. Der Gestank von Ozon lag in der Luft.
Lucien blickte in Dantes rot geäderte, glühende Augen. Jetzt sah er es. Schlaf lag noch in ihren Tiefen. »Sie kann nicht mit dir aufstehen. Tut mir leid, aber du musst sie zurücklassen und weiterschlafen lassen.«
»Nein.« Dante ballte die Fäuste. Qualen und der Schlaf überschatteten sein Gesicht. »Ich habe es ihr versprochen: für immer und ewig.«
»Kind, das hast du auch gehalten«, antwortete Lucien heiser. »Sie wird für immer und ewig bei dir sein. Aber dazu muss sie nicht hier sein. Du warst mit Elroy Jordan in einem Auto unterwegs. Er hat dich verschleppt. Dich gefoltert . Wach auf, Dante.«
Dante zuckte zusammen. Sein bleiches Gesicht wirkte eingefallen. Er berührte mit bebenden Fingern seine Schläfen. »Chloe«, wisperte er. »Noch kann ich sie retten. Noch immer.«
»Es ist zu spät, Dante.«
Dante sah Lucien an, und der Schlaf wich aus seinen Augen. Er schluckte und wandte den Blick ab. Nach einer Weile nickte er.
Lucien legte beide Hände auf Dantes Wangen. »Du bist mein Sohn«, sagte er. »Du kannst mich hassen, so sehr willst, aber das ändert nichts an der Wahrheit: Du bist der Sohn Genevieves und Luciens.«
Dante riss den Kopf weg und stieß mit fieberheißen Händen gegen Luciens entblößte Brust, bereit, ihn von sich zu weisen. Doch dann hielt er inne. Ein einzelner, reiner Ton erklang in Lucien, pulsierte durch seinen Körper und durchdrang Dantes Handflächen. Dantes Gesicht strahlte. In seinen
Augen funkelte es golden, während die Energie zwischen ihnen hin und her pendelte – ein Creawdwr, angezogen von seiner Schöpfung, ein Aingeal , gefangen genommen von seinem Schöpfer.
Dante riss die Hände von Luciens Brust. Lucien sah die Frage in seinen Augen, während das goldene Licht schwächer wurde: Was war das? Was ist eben geschehen?
»Das sind die Dinge, die ich dir beibringen muss«, entgegnete Lucien. »Ehe es zu spät ist.«
Dante schüttelte den Kopf, ballte erneut die Fäuste und presste sie auf seine Oberschenkel.
Lucien hätte sein aufmüpfiges Kind am liebsten geschüttelt und zur Vernunft gezwungen – genauso, wie er es in die Arme schließen und in Sicherheit bringen wollte. »Doch. Ob du willst oder nicht. «
»Der große Kerl ist dein verfluchter Papa ? Heilige Scheiße!«, lachte Jordan.
Blaue Flammen züngelten um Lucien und brannten in seinen Adern wie ein reinigendes, eisiges
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