01 Nightfall - Schwingen der Nacht
Washington waren? Da sie versucht hatte, Heather bereits in New Orleans umbringen zu lassen, wieso tat sie es jetzt nicht wieder? Was hatte sich geändert?
Wenn Moore sie tot sehen wollte, wie Stearns behauptet hatte, warum brachten die beiden da vorn sie dann jetzt nicht in einen Wald oder auf ein Feld und jagten ihr eine Kugel in den Kopf?
Hatte jemand interveniert? Für sie gesprochen? Möglicherweise ihr Vater?
Sie hatte plötzlich einen Flashback zu ihrem immer wiederkehrenden Traum von dem geheimnisvollen Fahrer, dessen Gesicht nicht kenntlich war und der aus dem Auto mit dem
laufenden Motor stieg und einen aufblitzenden Hammer in der Hand hielt.
Nein. Sie schob die Erinnerungen und Bilder von sich. Konzentriere dich auf die Gegenwart. Plastik knackte, und sie hielt die Augen geschlossen und zählte bis hundert, ehe sie wieder einen Blick durch ihre Wimpern hindurch riskierte. Trenchcoats Blondschopf war nach vorne gerichtet.
Das Kribbeln nahm zu und verwandelte sich in ein prickelndes Vibrieren. Heather ballte die Fäuste. In ihr regte sich Hoffnung. Sie entspannte die Hände wieder. Das Prickeln und Kribbeln wurde schwächer. Eine Weile fühlte es sich an, als seien ihren Glieder nur eingeschlafen gewesen. Sie hob die gefesselten Hände, den Blick auf Trenchcoats Kopf gerichtet, und rutschte ganz vorsichtig auf ihre Handtasche zu.
Die Scheibenwischer fuhren stoisch über die Windschutzscheibe. Die Reifen, die anscheinend Schneeketten hatten, knirschten durch den Schnee, was ein dumpfes, gedämpftes Geräusch verursachte. Heathers Finger glitten in ihre Tasche, wobei ihr Puls so raste, dass er in ihren Ohren zu dröhnen schien.
Vorsichtig durchsuchte sie mit der Hand den Inhalt der Tasche, fuhr verschiedene Formen nach und suchte nach einer schmalen Kante, nach dem Gefühl von Metall und dem schmierigen Sand aus der Gasse. Trenchcoat bewegte den Kopf und sah aus dem Beifahrerfenster. Heather riss blitzschnell die Hand aus der Tasche und nahm ihre bisherige Position wieder ein. Sie schloss die Augen und atmete langsam ein und aus. Ein und aus. Ein und aus.
»Jetzt fängt es aber so richtig zu schneien an«, meinte die Frau.
»Die Heimfahrt wird vermutlich wieder mal höllisch«, antwortete der Mann.
»Wenn du überhaupt heim kannst .«
»Ich gehe heim, und wenn ich dazu Skier brauche«, sagte Parka. Er klang angespannt. »Hast du die Berichte gelesen? Weißt du, was dieser S ist?«
Heather lauschte gespannt. Die Augen hielt sie weiter geschlossen, während ihre Finger wieder vorsichtig zu ihrer Tasche zurückwanderten. Also weiß Johanna Moore Bescheid! Woher?
»Ja, weiß ich«, antwortete Trenchcoat. »Ich muss zugeben, ich bin neugierig. Irgendwie will ich ihn mal live sehen, verstehst du?«
Heathers Hände schoben sich wieder in ihre Tasche, und ihre Finger tauchten ganz nach unten.
Parka schnaubte. »Du weißt, dass Neugier nicht unbedingt gesund ist.«
»Ja, ja. Wann bist du denn zu einer alten Jungfer mutiert?«
»Ich habe einfach nicht vor, den Köder für einen Psycho abzugeben«, sagte Parka.
Ein Finger stieß gegen eine scharfe Spitze. Kaltes Metall berührte ihre Handfläche. Mit hämmerndem Herzen zog Heather die Nagelfeile aus ihrer Tasche.
»Ich auch nicht«, antwortete Trenchcoat. »Vielleicht soll sie ja dazu dienen.«
Parka gab ein schwer verständliches Geräusch von sich.
Heather erstarrte. Moore konnte nichts über ihre Beziehung zu Dante wissen. Es sei denn … Dante wurde noch immer beobachtet, und versteckte Kameras filmten jeden seiner Schritte, daheim und im Club. Wenn das stimmte, würde es zumindest erklären, warum sie noch nicht tot und unter einer Schneewehe begraben war.
Was war mit De Noir? Hatte er sie im Stich gelassen, um nach Dante zu suchen? Ihre Intuition sagte Ja. Der erschütterte Ausdruck in De Noirs Gesicht stand ihr noch deutlich vor Augen: Mein Kind. Ich werde dich finden. Keine Angst.
Die Augen hinter ihren geschlossenen Lidern brannten, während Heather wünschte, er habe ihn tatsächlich gefunden. Sie verwendete alle Kraft, die wieder in ihr erwachte, und jeglichen zukünftigen Geburtstagswunsch darauf, sich zu wünschen, dass Dante unter De Noirs schwarzen Flügeln geborgen war.
Ansonsten brauchte sie keine Intuition, um zu wissen, dass sie derweil allein und auf sich gestellt war. Ihre Finger hielten die Nagelfeile umschlossen. Sie hob die Hände und drückte sie auf ihre Brust, um die Feile in ihre Bluse rutschen zu lassen. Dort schob
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