01 - Schatten der Könige
bedachte er den Lordkommandeur mit einem vorwurfsvollen Blick. »Bei allem gebotenem Respekt, Mylord, die Pfeilspitze ist beim Aufprall auf Eure Rüstung zwar zersplittert, aber der Schaft hat winzige Splitter des Feuersteins tief in Euer Fleisch gegraben. Ich habe bereits einige Stücke entfernt, doch ich muss noch mehr herausziehen. Darf ich Euch vielleicht raten, noch einen Schluck Fraol zu nehmen?« Mazaret hob mit finsterer Miene einen silbernen Flakon an die Lippen und trank. Der starke Schnaps aus Dalbari rann brennend in seinen Magen und verbreitete eine angenehme Wärme in seinem Körper. »Ein ausgezeichneter Jahrgang.«
»Unser früherer Herr, der geschätzte Vaush, war derselben Meinung«, bemerkte der Wundarzt trocken. »Zu schade, dass er immer noch vermisst wird.«
»Jetzt nicht mehr«, ließ sich eine andere Stimme vernehmen. »Wir haben vor einer Stunde ein paar Straßenjungen gefunden, die mit seinem Schädel Fang-den-Ball gespielt haben.«
Mazaret hatte Kodel das letzte Mal in den frühen Morgenstunden gesehen, kurz nachdem die Mogaun einen letzten, halbherzigen Vorstoß auf das Haupttor der Stadt unternommen hatten. Da hatte er eine zerfetzte, blutverschmierte Lederrüstung und die Überreste eines Reiterumhanges getragen, und sein Haar war wild und zerzaust.
Jetzt trug er bessere Kleidung, ein ärmelloses Wams über einem blassgelben Hemd und eine dunkelbraune Hose, die ordentlich in die Stiefel gesteckt war. Sein langes, schwarzes Haar war geölt und zu einem Zopf gebunden, was sein schmales Gesicht und die falkenartigen Züge betonte. An der linken Hüfte trug er einen Kavalleriesäbel, und an die Wade hatte er einen schlichten Dolch gebunden. »Und wo ist der Rest dieser Trophäe geblieben?«, erkundigte sich Mazaret und reichte ihm den Flakon.
Kodel grinste. »Der hängt am Haupttor, direkt neben dem hässlichen Schädel von Begrajic.« »Was werden die Überlebenden von Begrajics Kriegshorde unternehmen? Wissen wir schon, wohin sie sich wenden?«
»Geraines Späher berichten, dass sie am Ufer des Audagal nach Norden geritten sind, als wollten sie Schutz in ihrem nördlichen Lager suchen. Dann sind sie jedoch umgekehrt und den Roten Weg zurückgeritten. Man hat sie zuletzt gesehen, wie sie im vollen Galopp nach Hargas ritten.« Mazaret nickte. Hargas war ein bedeutender Fischereihafen, der von dem Mogaun-Oberhäuptling Vasegd kontrolliert wurde, Begrajics Halbruder. Vasegd würde der Tod seines Halbbruders zweifellos ergrimmen, und er würde schleunigst gegen Oumetra reiten, um ihn zu rächen.
Der Wundarzt neben ihm knurrte zufrieden, und als Mazaret sich umblickte, sah er, wie der Mann ein weißes Leinentuch zusammenfaltete, in dem einige winzige schwarze Splitter lagen. »Das war der letzte, Mylord«, sagte der Arzt, während er eine silberne Zange und einige andere Instrumente in ein Tuch aus gewachstem Samt wickelte. Er strich eine aschgraue Salbe auf die Wunde, bandagierte sie mit Streifen aus feinem Leinen und steckte anschließend sein Handwerkszeug in die Taschen seines langen, ockerfarbenen Mantels. »Ich würde Euch für den Rest der Woche Ruhe empfehlen, Mylord«, fuhr er fort. »Der Verband muss zweimal am Tag gewechselt werden. Falls der Schmerz nach einer Woche zurückkehren sollte, oder die Wunde eitert oder übel riecht, ruft mich bitte sofort.« Er empfahl sich mit einer feierlichen Verbeugung.
Eine Weile herrschte Schweigen. Mazaret beobachtete, wie Kodel den Fraol kostete, ihn eine Weile im Mund behielt, bevor er ihn herunterschluckte und dann den Flakon anerkennend betrachtete. »Gerade wurden Kleidungsstücke aus dem Kanal geborgen, die dem verehrten Hauptmann Volyn gehörten«, sagte Kodel nach einem Moment. »Bis jetzt wurde weder eine Leiche geborgen, noch hat jemand berichtet, dass man ihn irgendwo in der Stadt angetroffen hätte. Bis seine Überreste gefunden werden, oder er sicher und gesund wieder auftaucht, bin ich gezwungen, seine Pflichten zu übernehmen.«
»Verstehe«, erwiderte Mazaret. Es erfüllte ihn mit Unbehagen, sich an den Kampf mit Volyn auf dem Steg in der Nacht zuvor zu erinnern, aber immerhin hatte er gesehen, dass der Mann zum Ufer des Kanals geschwommen war. »Ich teile Eure Sorge. In der Zwischenzeit könnten wir vielleicht über das Mädchen sprechen. Es heißt Alael und stammt, wenn ich nicht irre, aus dem Hause Tor-Caverill? Und es setzt die Niedere Macht auf eine Art und Weise ein, wie ich es noch nie zuvor erlebt habe.« Kodel
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