01 - Schatten der Könige
das Spiegelkind ihr überraschend zärtlich die Haare hinter das Ohr steckte.
»Wir erreichen Trevada morgen früh«, sagte Nerek. »Nur du und ich. Die Wachen warten hier auf unsere Rückkehr. Wir verkleiden uns als Jäger, die Arbeit als Kundschafter suchen, oder einfach nur als Viehknechte, also denk darüber nach, wie du diese Rolle am besten spielst, bevor du heute schläfst.«
»Wie Ihr wünscht.«
Nerek lächelte. »Ich werde dich dazu zwingen, mir zu helfen, Suviel. Denn ich weiß, wie ich mir deine Unterstützung sichern kann.«
Sie griff in eine Satteltasche hinter Suviel und zog einen flachen, mit einem Tuch umwickelten Gegenstand heraus, nahm eine Decke aus einer anderen Tasche und breitete sie sorgfältig über Suviel aus. »Und jetzt denke nach und schlafe dann.«
Sie drehte sich um und setzte sich wieder ans Feuer, wo sie den Gegenstand auspackte. Unbehagen beschlich Suviel, als Nerek einen Handspiegel hervorzog und hineinstarrte, wobei sie den Kopf hin und her neigte, als suche sie nach etwas. Suviel erinnerte sich an die fürchterliche Verwandlung in den Bergen, und sie fragte sich, was mit dem Verstand des jungen Mannes geschehen war, aus dem Byrnak Nerek geschaffen hatte. War er ausgelöscht worden, wie Fußspuren auf einem Sandstrand bei Flut, oder war noch ein Fragment von ihm übrig, das Nereks Gedanken jetzt zusetzte? Sie schob dieses unlösbare Problem beiseite und wand sich mit gefesselten Händen und Füßen in eine bequemere Position, das Gesicht vom Feuer abgewandt. Eine kurze Weile später spürte sie den leichten Regen, der sich fast wie ein feuchter Nebel über sie legte, aber sie war zu müde, um sich davon irritieren zu lassen. Kurz darauf war sie sogar zu müde, um wach zu bleiben. Als sie aufwachte, graute ein Morgen, der von den Geräuschen der Mogaun erfüllt war, die packten und die Pferde sattelten. Einer ihrer Wächter brachte ihr eine abgekühlte Schüssel mit Brei und eine Handvoll Beeren. Er wartete, während sie hastig aß. Die maskierten Diener blieben ihr ein Rätsel. Sie war ja bereits von ihresgleichen verfolgt worden und vermutete aufgrund ihrer Haltung und ihres scharfen, moschusartigen Geruchs, dass sie nicht gänzlich menschlich waren.
Als sie fertig gegessen hatte, trat ein anderer Wächter zu ihr und zog sie auf die Füße, während der erste mit einem Dolch die Fesseln an ihren Füßen und an ihrem Handgelenk durchtrennte. Danach bauten sie sich rechts und links von ihr auf, als Nerek herankam und einige Schritte vor ihr stehen blieb. Sie hatte ihr helles Haar aufgesteckt und trug einen langen Mantel aus einem schweren, blauen Stoff über ihrem Kettenhemd und ihrer Hose. Aber es war das Feuer, das sie trug, das Suviel Angst machte.
Ein heller Knoten aus Flammen zuckte in ihren hohlen Händen. Es waren winzige, züngelnde Flammen, karmesinrot und bernsteinfarben, die einander umtanzten. Nerek senkte den Kopf und bewegte die Lippen, als flüstere sie dem Feuer etwas zu, schaute dann Suviel an und lächelte geheimnisvoll. Ohne Warnung packten die Wachen Suviel an den Armen, und Nerek warf beinahe spielerisch das lebende Feuer auf sie.
Suviel wand sich vergeblich im Griff der Wachposten, als der brennende Knoten auf ihr Gesicht zuflog, und dabei nach ihr züngelte. Sie kämpfte gegen den Drang an, die Augen zu schließen und starrte mit ohnmächtigem Mut ihrem bevorstehenden Untergang entgegen …
Das Feuer wurde zwei Handbreit vor ihr unsichtbar, und alle Farben und Einzelheiten verschwanden, als es sich unmittelbar vor ihr in Nichts auflöste. Suviel fühlte eine warme Welle, die ihr Gesicht streifte und nach der Hitze einer Schmiede roch, nach heißem Stein und glühendem Eisen. Die Wachen ließen sie los, und Nerek trat näher.
»Weißt du, was ich mit dir gemacht habe?«
Suviel wehrte sich gegen Schwindel und Übelkeit und schüttelte den Kopf.
»Und du nennst dich eine Zauberin? Kennst du denn wenigstens die Namen der Feuer des Altertums?« Suviel richtete sich überrascht auf. Nereks Frage gehörte zu den heiligen Schriften der Magierlehre, die man auswendig lernen musste, obwohl sie nie irgendeinen praktischen Nutzen gehabt zu haben schienen. Nerek betrachtete sie erwartungsvoll, also grub Suviel in ihrer Erinnerung und rezitierte die Verse.
»Feuer der Erde, Feuer des Himmels, Feuer des Wassers, niemals brenne, Feuer des Liedes, Feuer des Lernens, Feuer der Nacht, Feuer des Tages …« Sie versuchte weiter, sich zu erinnern. »Feuer, das
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