01 - Schatten der Könige
lehren, welche dir helfen, Rache …«
»Hör auf!«, schrie Suviel.
»… und Vergeltung an denen zu üben, die uns an der Erfüllung unserer Bestimmung hindern.« Byrnak schlang der Frau den Arm um die Taille und führte sie zu dem Pferd, auf dem der Junge geritten war. Dann schwang sich der hünenhafte Mann auf sein Ross und führte seine Meute ohne einen Blick zurück den Weg neben dem Flussbett hinauf.
Suviel sah den Reitern nach, bis sie aus ihrem Blickfeld verschwanden. Sie konnte kaum glauben, was sich soeben vor ihren Augen abgespielt hatte. Die Erschaffung eines Spiegelkindes war ein Vergehen wider die Natur, eine Verfehlung, die vor der Vernichtung der Macht der Wurzel undenkbar gewesen wäre. Sie wusste von solchen Ungeheuerlichkeiten nur durch ihre Lehrer. Was also konnte die unverhüllte Anrufung des Brunn-Quell durch Byrnak bedeuten?
Ihre Hände zitterten. Sie presste sie krampfhaft zusammen, bis sich ihre Knöchel weiß färbten, während sie den Aufruhr in ihren Gedanken zur Ruhe zwang und den Gedankengesang der Klarheit anhob. Nachdem sie sich gefasst hatte, legte sie Keren die Hände auf das Gesicht, massierte ihre Schläfen und strich sanft über ihre geschlossenen Augen.
Kerens Gefährte, der verwundete Junge, regte sich, murmelte etwas, und stützte sich schließlich auf einen Arm auf. Suviel sah ihn an, und bemerkte die Mischung aus Furcht und Erschöpfung in seinem Gesicht.
»Ist er hier?«, fragte er zitternd. Suviel begriff sofort, dass er Byrnak meinte. »Ich habe ihn gehört… Helft mir bitte. Lasst nicht zu, dass er es wieder tut. Bitte, ich flehe Euch an …!«
»Es ist gut«, erwiderte Suviel beruhigend und unterdrückte ihren Zorn. »Du bist unter Freunden. Hier kann er dir nichts tun. Wir sind in Sicherheit.« Er entspannte sich und sank etwas zurück. »Wie heißt du?«, fuhr sie fort.
»Tauric dor-Barledh«, antwortete er zögernd. »Mein Vater ist… war der Herzog von Patrein.« »Das liegt in Ost-Khatris«, stellte sie fest. »Was hat dich nach Honjir verschlagen?« »Der Kriegsherr Gizehr hat unsere Burg angegriffen. Er behauptete, wir hätten dem Mogaun-Häuptling Vashad geholfen, aber das stimmte nicht. Das hätten wir niemals gewagt. Der Priester meines Vaters hat mich kurz vor dem Angriff aus der Burg geschmuggelt …«Ihm versagte die Stimme, und Tränen rannen über seine Wangen. »Sie haben die Toten an die Zinnen gehängt! Mein Vater…!«Weinend ließ sich Tauric zurücksinken und verbarg sein Gesicht in der Armbeuge seines gesunden Arms. Suviel fühlte sich angesichts solchen Leides hilflos. Sie spürte, dass Keren wieder zu sich kam, und strich dem Jungen sanft über das Haar.
»Im Namen Der Mutter!«, stöhnte Keren und hielt sich den Kopf, als sie sich aufrichtete. »Was hat dieser Bastard mit mir gemacht?«
»Er hat dir Essenz gestohlen«, erwiderte Suviel. »Nicht viel, gerade genug für seine Zwecke.« Sie erzählte Keren genau, was Byrnak getan hatte. Als sie ihren Bericht beendete, wirkte die Schwertkämpferin bleich und erschüttert.
»Ein Spiegelkind!«, murmelte sie. »Das ist doch nur ein Lagerfeuermärchen.«
»Du hast gesehen, wie Byrnak diesen Feuerball geschleudert hat«, erinnerte Suviel sie. »Ich nehme an, du hast ihn so etwas zuvor ebenfalls niemals tun sehen?«, meinte sie dann und betrachtete die Schwertkämpferin mit einem misstrauischen Blick.
»Nein, ich …« Keren hielt plötzlich inne. »Das war gerissen! Wohlan denn, ich bin einige Jahre mit Byrnaks Kriegshorde geritten und habe auch eine Weile sein Lager geteilt. Bin ich deshalb wie er?« Suviel schüttelte den Kopf und deutete auf Tauric, dem bereits wieder die Sinne schwanden. »Du hast den Jungen vor all den Grausamkeiten gerettet, die sie ihm zweifellos noch angetan hätten. Das verrät mir eine Menge über dich.« Sie betrachtete Keren. »Außerdem habe ich jetzt ungefähr eine Vorstellung von deiner Widerstandskraft.«
Keren stand auf, wischte sich die Hände an ihrem schmutzigen Wams ab und rieb sich dann den Nacken. »Also ist Byrnak eine Art Magier, wie du …«
»Nein! Er ist ganz und gar nicht wie ich!«, gab Suviel scharf zurück. »Was er getan hat, konnte er nur mit Hilfe des Brunn-Quell bewerkstelligen. Ich dagegen bin eine Schülerin der Niederen Macht!« »Verstehe«, entgegnete Keren. »Trotzdem sollten wir uns auf den Weg machen. Wenn Byrnak Rache schwört, beeilt er sich zumeist auch, sie zu kosten.«
»Dieser Junge, Tauric, braucht Pflege«, sagte
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