01-Unsterblich wie die Nacht-redigiert-25.10.12
Lächeln.«
Angelica konnte nicht anders, sie musste lachen. Ihre neue Freundin war wirklich verrückt!
»Warum gehen Sie dann hin, wenn es Ihnen so wenig Spaß macht?«
»›Ein Mensch, der die Gesellschaft meidet, weil er sich selbst genügt, ist entweder ein Tier oder ein Gott‹«, konstatierte Joanna.
»Aristoteles!«, sagte Angelica erfreut. Endlich hatte sie jemanden getroffen, dem es offenbar ebenso viel Spaß machte wie ihr, Tote zu zitieren.
»Genau«, erwiderte Joanna, ebenfalls beeindruckt. »Also, da ich nun weder ein Gott bin, noch ein Tier sein möchte, mische ich mich eben unter die Gesellschaft.«
Beide ritten weiter. Angelica ließ ihre Gedanken schweifen, während sie unter schattigen Bäumen und über sonnenbesprenkelte grüne Wiesen ritten. Sie hasste gesellschaftliche Veranstaltungen. Machte sie das zu einem Tier?
»Ich versuche mir einzureden, dass Aristoteles recht hat, Joanna, aber es will mir nicht gelingen.«
Joanna zügelte lachend ihr Pferd. »Sie und ich, meine Liebe, müssen uns öfter sehen, viel öfter.«
»Sie ist umwerfend, Mikhail, ich hatte einen Riesenspaß.« Angelica streckte den Arm aus und schnappte ihrem Bruder den Salzstreuer vor der Nase weg, bevor er sich noch ein weiteres Pfund davon über seine Rühreier kippen konnte. »Du weißt genau, dass das nicht gut für dich ist!«
Mikhail verdrehte die Augen und fügte sich in sein Schicksal. »Es ist nicht zu fassen, dass ein so kleiner Mensch ein derartiger Tyrann sein kann.«
»›Twixt Kings and Tyrants there’s this difference known: Kings seek their subject’s good; Tyrants their owne.‹«
Mikhails Gabel stoppte auf halbem Weg zum Mund. Er schüttelte den Kopf.
»Wie du dir bloß all diese Sprüche merken kannst, mit denen du um dich wirfst, ist mir ein Rätsel. Wo nimmst du sie nur immer her?«
Angelica nippte vornehm an ihrer zierlichen Blümchentasse.
»Dieses spezielle Zitat stammt aus Hesperides von Robert Herrick.«
Mikhail kaute energisch und deutete anklagend mit seiner Gabel auf sie. »Weißt du was? Ich werde die Bibliothek absperren! Niemand - weder Mann noch Frau - sollte so viel lesen.«
»Da irrst du dich, Bruderherz.«
Angelica schnappte Mikhail die Times weg und grinste. »Lesen ist der Schlüssel zur Weisheit. Und wie hat schon unser guter Freund Horaz gesagt: Wage es, wissend zu sein!«
»Prinzessin Belanow!« Lady Dewberrys missbilligende Stimme wischte das freche Grinsen von Angelicas Gesicht. Als sie merkte, dass sie die Times in der Hand hielt, überlegte sie fieberhaft, dann rief sie: »Mikhail, du hast mich angeschwindelt. Da sind ja gar keine Bilder drin!«
Mikhail prustete los, und Angelica warf ihm die Zeitung an den Kopf.
»Tut mir leid, Schwesterherz.« Er erhob sich und griff nach seiner Zeitung. »Ich muss gehen. Bis später, die Damen.« Er ging um den Tisch herum und beugte sich zu seiner Schwester, als wollte er ihr einen Abschiedskuss geben, und flüsterte ihr dabei ins Ohr: »›Bei allen Tugenden, bei allen Pflichten sucht man nur den Schein, ich suche die Wahrheit.‹«
Angelica blickte ihrem Bruder nach.
»Wer hat das gesagt?«
Aber Mikhail beachtete sie nicht weiter und ging zur Tür. Als er Angelica schnauben hörte, wurde sein Grinsen noch breiter. Seine Schwester war einfach zu clever; er genoss es, wenn es ihm einmal gelang, sie aus dem Konzept zu bringen.
Als ihm einfiel, wie Angelica heute wohl den Tag verbringen würde, musste er laut auflachen: Er konnte sie förmlich vor sich sehen, wie sie in der Bibliothek saß und jedes einzelne Buch nach diesem Zitat durchforschte!
Angelica blickte ihrem Bruder nach, dann wappnete sie sich und wandte sich ihrer Tante zu. Sie wusste, dass die Gute schon seit Tagen darauf brannte, mit ihr übers Heiraten zu sprechen, und scheinbar war sie nun mit den Vorbereitungen zu ihrer Rede fertig.
»Angelica.«
Diese informelle Anrede verhieß nichts Gutes; offensichtlich würde die Predigt eine ganz persönliche werden. Angelica lehnte sich resigniert zurück und sah zu, wie ihre Tante ihr gegenüber Platz nahm, dort, wo Mikhail eben noch gesessen hatte.
»Ich mache mir seit einiger Zeit große Sorgen um dich, Angelica«, hub ihre Tante an. »Es bleibt mir daher nichts anderes übrig, als ganz offen mit dir zu reden.« Lady Dewberry holte tief Luft und beugte sich vor. Angelica betrachtete sie voller Zuneigung. Jedes Härchen ihrer silbernen Frisur war an seinem Platz.
Was wäre wohl aus ihr
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