01-Unsterblich wie die Nacht-redigiert-25.10.12
könnten die längst verstorbenen Schöpfer dieser Werke zu ihr sprechen. Sie hatte in Büchern den fehlenden Kontakt zu Menschen gesucht. Und erst jetzt wurde ihr klar, dass sie sich versteckt hatte, weil sie keinen anderen Ausweg sah.
Sie war erst einundzwanzig, und dennoch war sie drauf und dran gewesen, die Welt, die menschliche Rasse, aufzugeben. Wie musste es einem da erst gehen, wenn man das Hunderte von Jahren mitmachte?
Alexander . Sie kam einfach nicht um diesen Mann herum. Wie stark er sein musste! Weder Zeit noch Schicksalsschläge hatten ihn besiegen können. Jetzt verstand sie auch besser, warum ihm die anderen mit solchem Respekt, ja solcher Ehrfurcht begegneten. Er war der stärkste Vampir von allen, das hatte man ihr mehrmals versichert, doch was ihn so stark machte, war weniger seine Physis als vielmehr sein unbezwingbarer Geist.
Und er hatte ihr beigebracht, ebenfalls stark zu sein. Er hatte ihr die Kontrolle über sich selbst, über ihr eigenes Leben wiedergegeben, hatte sie, wenn auch unbeabsichtigt, aus ihrem Mauseloch geholt.
»Ich muss jetzt wieder gehen, Prinzessin.« Kirils Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie lächelte ihm zu.
»Ja, natürlich. Danke, Kiril.«
»Aber gern.« Er verbeugte sich und ging so unauffällig, wie er gekommen war.
Angelica lehnte sich zurück und griff zu ihrer Teetasse. Verblüffend, aber ihr Zorn, ihr Ärger über das Geschehene waren vollkommen verschwunden! Im Gegenteil: Wenn sie ehrlich war, so musste sie zugeben, dass sie Freundschaft, ehrliche Freundschaft, bei ihren Vampirfreunden gefunden hatte - und nicht bei den Menschen.
Ein trüber, regnerischer Tag nahm seinen Fortgang, die große Standuhr tickte, und Angelica nickte ein.
»Wer sind Sie?«
Angelica schlug die Augen auf, konnte aber im ersten Moment nichts sehen, denn die Abenddämmerung war hereingebrochen. Sie blinzelte und erblickte dann einen halbwüchsigen Knaben. Er kam ihr vage bekannt vor.
Und dann fiel es ihr wieder ein.
»Du bist der Junge von der Zeremonie!«
Stirnrunzelnd trat er einen Schritt näher und schaute sie forschend an.
»Sie sind kein Vampir!«, erklärte er schließlich voller Stolz.
Verschlafen schaute sie sich um und schüttelte den Kopf, um ein wenig wacher zu werden. »Woher weißt du das?«
Christopher warf sich in einen Sessel. »Weil Sie geschlafen haben. Wir Vampire schlafen nur sehr wenig. Das heißt, wenn wir älter sind. Ich schlafe immer noch mehr als die meisten, weil ich noch nicht alle meine Kräfte habe.«
Interessant. Sie nickte. »Dann entwickeln sich deine Kräfte also noch?«
»Ja.« Christopher grinste. »Ich bin erst vor einer Woche initiiert worden! Ach ja, jetzt weiß ich es wieder! Sie sind die Gedankenleserin, stimmt’s?«
»Ja. Aber wenn du willst, kannst du Angelica zu mir sagen.«
Christopher beugte sich mit neugierig funkelnden Augen vor. »Ich habe gehört, Sie sollen so mächtig sein, dass kein Vampir in Ihre Gedanken eindringen kann, nicht mal der Prinz!«
»Das hast du gehört?« Angelica fragte sich, wer so etwas erzählte.
»Mein Vater hat das gesagt«, meinte er, wie auf Kommando. »Aber er hat auch gesagt, ich soll’s nicht weitersagen.« Ein misstrauischer Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Wieso sind Sie überhaupt hier, beim Prinzen? Wohnen Sie hier?«
»Er kümmert sich um sie.«
Kiril war genau im richtigen Moment erschienen. Angelica hätte nicht gewusst, wie sie diese heikle Frage hätte beantworten sollen.
»Hast du dich Prinzessin Belanow schon vorgestellt, Christopher?« Kiril trat neben den Sessel, in dem der Junge saß.
Dieser errötete und schüttelte den Kopf. Auf ein knappes Nicken von Kiril hin erhob er sich und trat auf Angelica zu.
»Entschuldigen Sie, dass ich so unhöflich war, Prinzessin. Ich heiße Christopher Langdon.«
Er war einfach reizend, und noch so jung.
»Wenn ich dich Christopher nennen darf, dann darfst du Angelica zu mir sagen.«
»Prima, Angelica!« Seine Verlegenheit war schon wieder vergessen. Er wies mit einer begeisterten Armbewegung um sich. »Ist das Haus des Prinzen nicht riesig? Und er beschützt Sie, das ist toll. Er hat mir auch geholfen, wissen Sie? Bei der Zeremonie und so.«
Es war offensichtlich, dass Christopher Alexander sehr bewunderte. Das konnte sie gut verstehen.
»Er ist ein ganz besonderer Mann … ich meine, Vampir.«
»Er ist der stärkste Vampir der Welt!«, prahlte Christopher. »Mein Vater sagt, wenn ich brav bin, dann
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