01 - Wie Feuer im Blut
zurück.
»Was
hast du denn mit dem Baby vor?« fragte er. »Wie willst du es füttern? Ich
möchte keinen plärrenden Fratzen im Haus haben, der meine Nachtruhe stört. Und
wo willst du es lassen, wenn du arbeitest?«
Sie
versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen. Aber er ergriff ihren Arm.
»Ich
kenn' jemanden, der dir das Baby abnimmt, wenn es auf die Welt kommt. Collins
heißt er.«
»Ich
kenne den Mann. Lenore arbeitet für ihn. Was macht ein Zuhälter mit Babies?«
»Er
zieht sie groß, damit sie in sein Geschäft einsteigen natürlich..«
»Das
ist das Abscheulichste, was ich bisher gehört habe.«
»Ein
guter Geschäftsmann hält die Augen immer offen. Seine Mädchen sind schnell
verbraucht. Ein Schätzchen wie du würde den Ruf seines Hauses verbessern.« Er
zog sie an sich und lächelte. »Du und das Kind werden am Ende sowieso in
diesem Geschäft landen, ob es dir gefällt oder nicht.«
Bonnie
drehte das Gesicht weg. Die Aussicht, dass sich seine Prophezeiung erfüllen
könnte, war ihr genauso widerwärtig wie dieser Mann.
»Du
hast bis heute abend um acht Uhr Zeit, mir die Miete zu bezahlen.«
»Aber
ich bekomme erst morgen meinen Lohn!«
»Vier
Schillinge.«
»Aber
die Miete ist doch nur drei ... «
»Sie
ist gerade erhöht worden.«
»Bastard!«
Sie befreite sich aus seinem Griff und lief auf die Straße. Ein kalter
Nieselregen durchnässte ihr Haar und ihre Kleider. Die Gaslichter flackerten
wie Kerzen im Dunklen.
Sie
lief schneller. Wegen Jones würde sie wieder zu spät zur Arbeit kommen. Zweimal
war ihr das schon in dieser Woche passiert, und der Aufseher hatte sie
verwarnt, obwohl sich Bonnie bereit erklärt hatte, die halbe Stunde, die sie am
Morgen zu spät kam, nach der regulären Arbeitszeit nachzuholen. Die Arbeit
ließ sie ihren Hunger vergessen und lenkte sie von Erinnerungen an Damien, Kate
und Marianne ab, obwohl sie auf ihren langen Wegen zur Arbeit nur an sie
dachte.
Aber
erinnerten sich die drei auch noch an sie? Hatte Damien im den letzten Wochen
versucht, sie zu finden? Vermutlich nicht. Wahrscheinlich war er inzwischen
nach Amerika zurückgekehrt und hatte sie vollkommen vergessen. Sie fragte sich,
ob Kate ihm etwas von dem Baby erzählt hatte. Sicherlich hatte sie das. Wie er
wohl darauf reagiert hatte? Zornig vermutlich.
Sie
hielt an der Straßenecke an und wartete, bis sie eine Lücke zwischen den
Fuhrwerken fand, um auf die andere Seite hinüberzukommen. Zum Glück hatte sie
eine Anstellung in einer Fabrik gefunden. Sie nähte Knöpfe an fabrikgefertigte
Kleider an - von halb sechs Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Ihre
Finger waren wund von der Nadel, die ihr ständig in die Haut stach, aber der
Aufseher hatte ihr versichert, dass sie in ein, zwei Monaten eine Hornhaut
haben und nichts mehr spüren würde. Bonnie war sich da nicht so sicher. Ihre
Finger taten schrecklich weh. Sie hätte sich natürlich einen Fingerhut kaufen
können, aber die waren teuer, und bisher hatte sie keinen Penny von ihrem
mageren Lohn abzwacken
können. Nun
wurde sie auch von Jones wegen der Miete bedrängt, und die Wahrscheinlichkeit,
sich einmal satt essen zu können, rückte in immer weitere Ferne.
Sie
lief über die Straße. Als sie in die Fabrik kam, schaute sie auf die Wanduhr.
Sie war eine halbe Stunde zu spät.
»Bleib
stehen!« rief ihr der Aufseher zu.
Durchnässt
und vor Kälte zitternd, drehte sich Bonnie langsam zu ihm um.
»Junge
Frau, Sie sind wieder mal zu spät dran.«
»Ich
... «
Er hob
die Hand. »Es reicht. Beim ersten Mal habe ich beide Augen zugedrückt. Beim
zweiten Mal habe ich Sie gewarnt, dass ich Sie entlassen muss, wenn es noch
einmal vorkommt.«
»Nein!«
rief sie. »0 nein, Sir, bitte entlassen Sie mich nicht. Ich brauche diesen Job
... «
»Natürlich
brauchen Sie ihn. Aber
das gilt für viele
andere
ebenso,
die pünktlich zur Arbeit kommen.«
»Ich verspreche,
dass es nicht mehr vorkommt. Mein Zimmerwirt ... «
»Das
haben Sie mir schon zweimal versprochen, und ich habe Ihnen jedes Mal
geglaubt.«
»Aber
... «
»Tut
mir leid. Ich habe den Posten schon an eine andere vergeben«, erklärte der
Aufseher und ließ Bonnie stehen.
»Was
ist mit meinem Lohn?« rief sie ihm hinterher.
»Kommen
Sie morgen abend um sieben, und Sie bekommen Ihren Lohn - abzüglich der
Strafe für das Zuspätkommen natürlich.«
»Aber
ich brauche das Geld sofort!«
»Tut
mir leid.«
Bonnie
verließ das Fabrikgebäude. Lange Zeit stand sie ratlos auf dem
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