01 - Wie Feuer im Blut
die Augen. Mit bebender Stimme sagte er:
»Du kaltschnäuziger Bastard! Hast du gar kein Herz oder Mitleid?«
Miles fasste
mit harten Fingern unter Richards fleischiges Kinn und drehte das Gesicht des
alten Mannes herum, so dass dieser ihn ansehen musste.
»Hast
du dich schon mal gefragt, warum das aristokratische Blut blau ist? Jetzt
weißt du es. Weil es so gottverdammt kalt ist, Richard. Wie ich schon anfangs
sagte -wie der Vater, so der Sohn. Ich habe gelernt auszuteilen und immer
zuerst zuzuschlagen - unter die Gürtellinie, wo der Gegner es am
wenigsten erwartet, wie Joseph zu sagen pflegte. Niemals Schwäche zeigen, sagte
er. Wir beide wissen, wie sehr Joseph schwache Menschen verachtete, nicht
wahr, Richard?«
Miles
ging zur Tür, hielt dort noch einmal kurz an, zog sein Jackett stramm und
blickte auf Richard zurück. »Wie ich sehe, könntest du jetzt etwas zu trinken
gebrauchen. Der Port steht da drüben.« Er deutete auf einen Tisch an der Wand.
»Und nun wirst du meine Gesellschaft wohl entbehren müssen. Es wäre
unentschuldbar, wenn ich mich nicht rechtzeitig zu den Gästen geselle, die dem
frischgebackenen Grafen alles Gute zum Geburtstag wünschen - meinst du
nicht auch?«
Lachend
verließ Miles das Zimmer. Aber sein Schritt wurde langsamer, als die Schatten
im Korridor ihn verschluckten. Er lauschte der Musik und hörte das fröhliche
Lachen der Gäste im Erdgeschoß. Er schaute sich auf dem Flur um und betrachte
die vielen Kostbarkeiten an den Wänden. Das alles hätte ihm gehören sollen.
Alles. Wie oft hatte er Joseph Warwick die Stiefel geküsst. Ihm wurde jetzt
noch schlecht, wenn er daran dachte. Aber als der alte Herr starb, hinterließ
er ihm nur ein Taschengeld. Solange Randolf noch gelebt hatte, war ihm sein
mageres jährliches Einkommen nicht so sehr auf den Magen geschlagen, weil er
wußte, dass er notfalls von Randolf bekam, was er brauchte. Wie Joseph konnte
auch Randolf leicht manipuliert werden, so dass er ihm hin und wieder ein paar
Hunderter zuschob. Schließlich war er mit Randolf hier aufgewachsen und ganz
gut mit ihm zurechtgekommen. Gleich und gleich gesellt sich gern, wie man so
schön sagt.
Doch
nun gehörte alles Damien. Damien hatte stets Miles' Motive durchschaut und
trotz - oder gerade wegen - Josephs Einfluss aus seiner Verachtung
für Besitz und Familientradition keinen Hehl gemacht. Er hatte gegen alles
rebelliert, was den Stolz der Warwicks ausmachte, besaß aber jetzt sechs
Landsitze in England, einen in Wales, ein halbes Dutzend Textilfabriken und
vier der ergiebigsten Bleiminen in Yorkshire.
Typisch
für Damien - fällt in einen Sumpf und duftet nach Rosen. Aber so war es
schon immer mit ihm gewesen. Obwohl sich Damien von Josephs Knute nicht zu einem
»echten Warwick« hatte zurechtbiegen lassen, wie Joseph das bei Randolf und
Miles gelungen war, hatte er, Miles, stets den Verdacht gehabt, dass Damien
insgeheim der Liebling seines Vaters gewesen war. Miles hatte jedes Mal, wenn
Damien ins Zimmer kam, ein warmes Licht in den Augen des alten Herrn entdecken
können und sogar - ein unglaubliches Vorkommnis - eine Träne in den
kalten grünen Augen des Alten blitzen sehen, als dieser mit dem Streichriemen
Damiens nackte Kehrseite versohlte, weil Damien sich geweigert hatte, den
Namen eines Wilderers preiszugeben.
Miles
konnte sich heute noch an das Gesicht von Damien erinnern, als das harte Leder
auf sein Fleisch klatschte. Damien hatte die Hände nach hinten werfen wollen,
um sein Gesäß vor den Hieben zu schützen; aber er hatte sich beherrscht. Er
hatte nur die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt, während ihm die Tränen
über das Gesicht liefen. Als Joseph ihn dann zum letzten Mal nach dem Namen des
Wilderers fragte, war Damiens Antwort gewesen: »Er braucht das gottverdammte
Fleisch nötiger als du.« Am nächsten Tag war Miles dann Damien heimlich in den
Wald gefolgt und hatte entdeckt, dass der Wilddieb ein lehenspflichtiger
Kleinbauer von einem Gut in ihrer Nähe war. Doch als er nach Hause geeilt war,
um seinem Vater den Namen des Wilderers preiszugeben, hatte Joseph ihn nur
verächtlich angeschaut.
Ein
heftiger Applaus im Erdgeschoß holte Miles in die Gegenwart zurück. Damien
besaß nun alles, nicht mehr nur den Respekt seines Vaters, sondern auch dessen
Geld. Aber wenn man den Gerüchten glauben durfte, wollte er es gar nicht haben.
Nun, es musste doch etwas geben, was Damien genauso gern haben wollte wie Miles
Braithwaite. Er musste
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