010 - Skandal in Waverly Hall
gibt einen weiteren Skandal."
Annes Kopf fuhr beim Klang von Clarisse St. Georges' Stimme erschrocken in die Höhe. „Wie bitte?"
„Wenn diese treuhänderische Verfügung bekannt wird, gibt es einen weiteren Skandal", erklärte Clarisse vorwurfsvoll. Sie stand an der Tür und stützte sich an den Rahmen. Ihre Handknöchel traten weiß hervor. Ein großer Rubinring funkelte an ihrer linken Hand. Eine Perserkatze strich um ihre Röcke und schnurrte laut.
Anne richtete sich langsam auf. „Ich kann den Klatsch nicht verhindern."
„Das Gerede ist Ihnen doch völlig gleichgültig. So eine harte Frau wie Sie ist mir noch nie begegnet. Seit Ihrer Heirat habe ich Sie keine einzige Träne vergießen sehen."
„Das ist ungerecht", sagte Anne leise. Sie war nicht bereit, jetzt zuzugeben, wie oft sie in ihrem Zimmer über Dominick und den Verlust ihrer Träume geweint hatte.
Eigentlich hätte ihre Schwiegermutter es wissen müssen. Als Dominick in den ersten Monaten nach ihrer Hochzeit nicht zurückkehrte, war sie, Anne, am Boden zerstört gewesen und hatte es nicht verbergen können.
„Ungerecht ist die Tatsache, daß Sie meinen Sohn geheiratet haben", fuhr Clarisse sie an.
Anne stand auf und wurde immer nervöser. Sie wußte, daß die verwitwete Marchioness sie nicht leiden konnte. Das hatte sie schon an ihrem Hochzeitstag gemerkt. „Dafür habe ich einen hohen Preis gezahlt", antwortete sie leise.
„So? Welchen Preis denn?" fragte Ciarisse. „Lassen Sie mich überlegen. Daß Sie Marchioness geworden sind? Daß Ihnen eine Apanage zusteht, um die eine Prinzessin Sie beneiden würde? Daß Sie die alleinige rechtmäßige Herrin von Waverly Hall sind?"
„Ich habe vier Jahre in diesem Haus verbracht, ohne daß mich ein einziger Mensch besucht hätte außer dem Herzog. Ich kann mich nicht im Dorf blicken lassen, ohne daß hinter meinem Rücken getuschelt wird. Leicht habe ich es gewiß nicht", sagte Anne.
„Was haben Sie denn erwartet?"
Anne enthielt sich einer Antwort. Sie würde Ciarisse niemals gestehen, daß sie gehofft hatte, Dominick würde sie bis zum Ende seiner Tage lieben.
„Ich habe große Angst vor dem neuen Skandal, der uns bevorsteht", fuhr Ciarisse fort. „Mein Leben lang habe ich versucht, mich korrekt zu verhalten. Und wozu das Ganze?" Tränen traten ihr in die Augen. „Es ist alles Ihre Schuld."
„Sie übertreiben", antwortete Anne und blieb stehen. „Die treuhänderische Verfügung betrifft nur einen Bruchteil des gesamten Vermögens. Dominick wird den Löwenanteil des Erbes erhalten. Das Herzogtum Rutherford besteht aus achtzehn Landgütern. Niemand wird wegen dieses Hauses auch nur mit der Wimper zucken.
Die Ländereien gehören weiterhin Dominick."
„Dominick wurde in diesem Haus geboren. Das Gebäude gehört seit dreihundert Jahren den St. Georges. Philip und ich haben hier geheiratet. Das Haus sollte Dominick zufallen."
Anne schwieg eine ganze Weile. Rutherford hatte erst gestern abend bekanntgegeben, daß er Anne Waverly Hall treuhänderisch vermacht habe. Sie war ziemlich bestürzt gewesen und wunderte sich immer noch darüber. Außerdem enthielten die Bestimmungen eine sehr großzügige Apanage für sie. Allerdings würde Dominick die Ländereien behalten, die zum Herrenhaus gehörten. Sie hatte keine Ahnung, was den Herzog zu dieser Maßnahme bewogen haben könnte.
„Was soll ich denn tun? Ich habe Rutherford nicht darum gebeten."
„Nein? Das glaube ich doch."
Anne erstarrte unwillkürlich. „Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Ciarisse."
„Philip ist tot, und der Herzog hat den Verstand verloren. Ich bin nur noch eine Witwe, und Sie besitzen dieses Haus und erhalten eine beachtliche Unterstützung.
Sie sind nicht mehr auf Dominick angewiesen. Sehr klug von Ihnen, Anne, sehr klug und sehr gerissen."
Anne traute ihren Ohren nicht. „Wollen Sie damit sagen, daß ich etwas mit der Sache zu tun habe, Ciarisse?"
„Sie haben alles genau geplant, Anne, und zwar von Anfang an. Erst haben Sie meinen Sohn verführt und ihn zur Heirat gezwungen. Und jetzt sind Sie nicht nur Marchioness of Waverly, sondern auch die alleinige Herrin dieses Hauses."
„Das ist nicht wahr!" Anne schüttelte entsetzt den Kopf. „Das sind ganz furchtbare Beschuldigungen. Sie irren sich gewaltig. Ich habe nichts geplant. Ich kann nichts dafür, daß Rutherford mir das Haus vermacht hat."
„Leugnen Sie etwa, daß Sie sich in das Herz des Heriogs eingeschlichen haben, damit er dieses
Weitere Kostenlose Bücher