010 - Skandal in Waverly Hall
heftig gerötet. Nichts, was Patrick sagte oder tat, konnte sie beruhigen.
„Dominick ist gerade erst zurück, und schon hat er dich wieder verärgert", erklärte er erbost.
Anne antwortete nicht. In Wirklichkeit hatte Dominick viel mehr getan, als sie zu verärgern. Ihr ganzes Leben, das jahrelang in geordneten Bahnen verlaufen war, geriet gefährlich aus dem Gleichgewicht. Sie hatte das Gefühl, jeden Moment abstürzen zu können.
Sie schloß die Augen und mußte ständig daran denken, daß Dominick auf der anderen Seite des Salons stand und steif die Beileidsbezeugungen der Gäste entgegennahm. Sogar die Damen und Herren, die nicht in seiner Nähe standen, sahen immer wieder zu ihm hinüber. Sie selber wurde ebenfalls verstohlen beobachtet. Die Gesellschaft liebte Skandale. Und es sah ganz danach aus, als bahnte sich hier ein weiterer an.
„Ich habe den Eindruck, daß sämtliche Leute nur über Dominick und mich sprechen und niemand an Philip denkt", murmelte Anne erbost.
Patrick streichelte ihre Hand. Er war ihr Vetter und bester Freund. „Wahrscheinlich hast du recht. Dominick war seit Jahren nicht mehr zu Hause. Du siehst ja, was passiert, wenn er hier auftaucht. Meine Güte, ist das ein Flegel. Wie kann man einfach eine Tür eintreten?"
Anne hielt erschrocken die Luft an. „Was sagst du da?"
„Einer der Gäste hat gesehen, wie Dominick die Terrassentür aufgebrochen hat, um sich Zutritt zum Haus zu verschaffen."
„Ich hatte ihn ausgesperrt", sagte sie leise. Sie hatte keine Ahnung gehabt, daß ihr stummer Kampf mit Dominick beobachtet worden war.
„Das habe ich mir schon so ähnlich gedacht." Patrick grinste jungenhaft. „Allerdings war es keine besonders geschickte Taktik."
„Nein", gab Anne zu. „Es war kindisch." Sie war so wütend gewesen, daß ihr jedes Gefühl für Schicklichkeit abhanden gekommen war. Dominick auszusperren, war der reinste Wahnsinn gewesen. Sie hatte ihn nur verärgert, und er hatte ihr eine Szene gemacht, die für weiteren Klatsch über sie sorgen würde. Erneut begegneten sich ihre Blicke. Diesmal sah er sie lange eindringlich an. Sein Blick war sehr männlich und direkt.
Annes Herz setzte einen Schlag aus, und sie wandte sich ab. Sie hatte keine Ahnung, was in Dominick vorging, und wollte es gar nicht wissen.
„Je schneller er wieder abreist, desto besser", schimpfte Patrick.
„Ja", stimmte Anne ihm atemlos zu, ohne seine Eifersucht zu beachten. Patrick war die letzten vier Jahre ihr Vertrauter gewesen. Sie wußte schon seit einiger Zeit, daß er zärtliche Gefühle für sie hegte.
„Hast du gesehen, wie er mit meiner Schwester gesprochen hat?" fragte er.
„Der ganze Salon war Zeuge, wie sie mit ihm unverblümt geflirtet hat."
„Nun, sie war einmal sehr verliebt in ihn."
Anne verschränkte die Arme vor der Brust. „Wenn ich mich recht entsinne, hatte sie mindestens ein Dutzend Heiratsanträge, bevor Dominick sie bat, seine Frau zu werden. Sie wollte gerade einen anderen Antrag annehmen."
„Daran erinnere ich mich nicht", sagte Patrick.
Anne blickte auf ihre Hände. Sie trug nur einen schlichten Goldreif am Ringfinger.
Vielleicht erinnerte Patrick sich wirklich nicht mehr an die Zeit vor Felicitys Verlobung. Sie, Anne, wußte es dagegen genau. Felicity hatte Dominick nicht geliebt.
Sie hatte ihn begehrt - und begehrte ihn eindeutig immer noch. Vor allem aber hatte sie eines Tages Duchess of Rutherford werden wollen.
„Hat Dominick erwähnt, was er jetzt zu tun gedenkt?" fragte Patrick.
„Nein." Anne hob zitternd die Hand und strich eine schwarze Haarsträhne hinter das Ohr, die sich gelöst hatte. „Es ist mir egal, wie seine Pläne aussehen. Ich werde nicht dulden, daß er in diesem Haus bleibt."
Patrick sah sie mitfühlend an. „Du vergißt, daß er dein Ehemann ist, meine Liebe. Du mußt ihm gehorchen."
Anne sah ihren Vetter fest an. „Nicht in diesem Fall."
„Was soll das heißen?"
Ihre Stimme klang heiser, aber bestimmt. „Ich bin hier die Herrin." Sie lächelte unbarmherzig. „Waverly Hall gehört mir."
3. KAPITEL
Nachdem die Gäste endlich abgefahren waren, sank Anne erschöpft auf die Couch.
Sie machte keine Anstalten, den Salon zu verlassen. Dominick war vor einigen Minuten hinausgegangen, nicht ohne ihr einen langen eindringlichen Blick zuzuwerfen, dessen Bedeutung sie nicht zur Kenntnis nehmen wollte. Sie war todmüde und innerlich wie ausgelaugt. Je schneller Dominick wieder nach London abreiste, desto besser.
„Das
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