010 - Skandal in Waverly Hall
treuhänderisch vermacht. Es war eine rechtliche Zusage, nach der ihr das Gebäude später gehören sollte. Das eigentliche Landgut blieb weiterhin im Besitz von Dominick und seinen Erben - falls er eines seiner unehelichen Kinder dazu bestimmte.
Bisher hatte sie das Gut allein verwaltet, denn Philip war praktisch nie zu Hause gewesen. Hoffentlich würde Dominick es wie sein Vater halten. Sicher war Anne sich dessen allerdings nicht. Würde er einen Gutsverwalter einstellen? Inständig wünschte sie, er würde sich nicht dazu entscheiden.
Noch wichtiger war, daß sie seit vier Jahren darauf wartete, die Beziehung zwischen Dominick und sich zu klären.
Das Räume des Herrn von Waverly Hall lagen im Westflügel. Vorher war es Philips Zimmerflucht gewesen, und jetzt gehörte sie Dominick.
Anne wurde immer nervöser. Sollte sie Dominick in seiner Suite aufsuchen? Endlich faßte sie einen Entschluß. Hastig stand sie auf und durchquerte das Haus, bevor sie es sich anders überlegen konnte, in ihr Zimmer ging und die Tür hinter sich verriegelte.
Vor der großen zweiflügeligen Mahagonitür blieb sie stehen. Ihr Puls raste wie wild, und ihr war viel zu warm. Dem Löwen in seinem eigenen Revier gegenüberzutreten, war eine gewaltige Dummheit. Das war ihr klar. Aber Dominick wollte morgen wieder abreisen, und unzählige Fragen brannten ihr auf der Zunge.
Trotzdem zögerte Anne einen Moment, und ihr Mund wurde trocken. Bevor sie sich entschließen konnte, ob sie anklopfen oder lieber umkehren sollte, öffnete die Tür sich plötzlich, und Dominick sah sie mit seinen topasfarbenen Augen eindringlich an.
Anne rührte sich nicht von der Stelle.
Sein Blick glitt zu ihrem Mund und kehrte rasch zu ihren Augen zurück. „Ich hörte jemanden kommen", sagte er. „Möchtest du mit mir reden?" Er verhielt sich ziemlich förmlich.
Anne nickte. „Deine Mutter sagte mir, daß du morgen wieder abreisen wirst. Falls es stimmt, müssen wir heute noch einiges besprechen."
Dominick zog spöttisch eine Braue in die Höhe. „Wirklich? Ich nehme an, dich interessiert einzig und allein, wie früh ich von hier verschwinde."
Anne straffte die Schultern. „Ja, ich möchte tatsächlich wissen, wann du abreist."
Er trat beiseite. „Komm herein, Anne."
Anne schluckte. Sie mußte so dicht an Dominick vorbei gehen, daß ihre Röcke seine Schenkel streiften. Ihr Herz klopfte immer stärker. Sie war noch nie in diesen Räumen gewesen und hatte auch keinen Grund dafür gehabt.
In der Mitte des Zimmers blieb sie stehen und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. Sie gab sich große Mühe, nicht nach rechts zu schauen, wo die Tür einen Spalt offen stand und ein Teil von Dominicks Schlafzimmer sichtbar wurde.
Statt dessen betrachtete sie ihre Umgebung. Ein goldbrauner Teppich bedeckte den Boden. Hübsche vergoldete Stukkaturen schmückten die Decke. Die Wände waren mit goldgelbem Stoff mit schmalen Streifen bespannt, auf dem sich winzige grüne Blätter hinaufrankten. Die Polstermöbel waren in farblich dazu passenden Stoffen bezogen. Der Sims über dem Kamin bestand aus edlem Marmor.
Aus dem riesigen dreiflügeligen Fenster hatte man einen atemberaubenden Blick auf die gepflegten Gartenanlagen. Dahinter erstreckten sich smaragdgrüne Rasenflächen bis zu dem dicht bewaldeten Park. Anne entdeckte den glänzenden Teich mit der kleinen Insel in der Mitte. Die Ruinen eines normannischen Bergfrieds waren gerade noch zwischen hohen Büschen und Sträuchern zu erkennen. Hinter dem Park ging das Gelände in eine hügelige Landschaft über, die mit dem rasch dunkler werdenden Himmel verschmolz, an dem der Abendstern hell funkelte.
„Möchtest du etwas zu trinken?"
Dominicks Atem strich über ihren Nacken. Anne zuckte zusammen und fuhr herum.
Dominick stand so dicht hinter ihr, daß ihre Röcke seine Knöchel streiften. Er hatte das Tweedjackett ausgezogen, und sein Hemd war am Hals offen.
„N... nein. Ja."
Er lächelte wissend und wandte sich ab. Anne versuchte, nicht darauf zu achten, wie eng die Hose seinen muskulösen Körper umspannte, und blickte beiseite. Er kehrte zurück und reichte ihr einen Sherry. Nachdenklich trank er einen Schluck Whisky aus seinem eigenen Glas und beobachtete sie über den Rand.
Anne merkte, daß ihre Wangen dunkelrot geworden waren. Rasch setzte sie sich auf ein kleines Sofa und nippte an ihrem Getränk. „Ich hatte gerade ein Gespräch mit deiner Mutter", begann sie und hielt plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher