010 - Skandal in Waverly Hall
„Ich war sehr gespannt darauf, Sie kennenzulernen, Lady Waverly.
Domi-nicks hartnäckiges Schweigen über seine Ehefrau und seine Entschlossenheit, so schnell wie möglich nach Waverly Hall zurückzukehren, gaben mir die Gewißheit, daß hier eine wunderschöne Frau auf ihn warten würde."
„Danke", sagte Anne. Sie merkte sofort, daß Blake ein Charmeur war, der mit Komplimenten nur so um sich warf. Er sah ausgesprochen gut aus, hatte eine helle Haut, blaue Augen und beinahe so schwarzes Haar wie sie. Wenn er lächelte, was er häufig tat, bildeten sich Grübchen in seinen Wangen. Seine Schmeicheleien hatten nichts zu bedeuten. Doch sein Charme war beinahe unwiderstehlich. Anne hatte den Verdacht, daß sie sich mit der Zeit an den Mann gewöhnen könnte. „Sie sind sehr liebenswürdig, Sir."
„Bitte seien Sie nicht so förmlich. Nennen Sie mich nur Blake." Er zwinkerte ihr zu.
Anne mußte unwillkürlich lachen. „Und wie wäre es mit Theodore?"
„Oh, bitte nicht!" rief Blake mit gespieltem Entsetzen.
Anne lächelte erneut. „Gut, dann lassen wir es bei Blake."
„Das reicht, Blake", schimpfte Dominick. „Heb dir deine Schmeicheleien für andere Frauen auf."
Blake grinste jungenhaft. „Nanu, du bist doch nicht etwa eifersüchtig, weil ich einige Worte mit deiner Frau wechsele, alter Knabe?"
„Wohl kaum", brummte Dominick. Sein Blick glitt zu Anne zurück, und er sah ihr tief in die Augen. „Es tut mir leid, daß meine Reise einen Tag länger gedauert hat als geplant."
„So, hat sie das? Ich hatte es gar nicht bemerkt", sagte Anne und zuckte achtlos mit den Schultern. Er durfte auf keinen Fall erfahren, daß sie jede Nacht schlaflos dagelegen und überlegt hatte, wo er sein mochte. Ständig hatte sie über seinen Vorschlag nachgedacht und sich gefragt, ob Dominick wirklich zurückkehren würde.
„Ich habe Blake für einige Tage zu uns eingeladen, damit er mir bei der Ausbildung von ,Lucky' hilft", erklärte Dominick. „Du hast doch nichts dagegen?"
„Natürlich nicht", versicherte Anne sofort. Ihr Blick kehrte zu dem Junghengst zurück. „Es ist ein wunderschönes Tier."
„Ich habe es selber gezüchtet", verkündete Dominick stolz. „Es ist der schnellste Junghengst, der mir je begegnet ist."
„Aber?" wollte Anne wissen.
„Bis vor kurzem war er sehr schwer zu reiten. Trotzdem bin ich sicher, daß ein künftiger Sieger in ihm steckt."
„Das würde mich nicht wundern", antwortete sie.
Dominick sah sie erstaunt an. „Verstehst du etwas von Pferden, Anne?"
Sie hielt seinem Blick stand. „Ja, ein bißchen."
Er ließ sie nicht aus den Augen, und ihr Herz begann zu rasen.
Blake sah an Anne vorüber und stieß einen Pfiff aus. „Wer ist das denn?"
Anne und Dominick drehten sich um. Anne riß sich zusammen und verzog keine Miene. Dominicks Stimme klang absolut gelassen. „Das ist Annes Cousine. Kennst du Felicity Collums Reed etwa nicht?"
„Harold Reeds Witwe? Nein, ich hatte noch nicht das Vergnügen." Blake lächelte vielsagend. „Aber ich habe von ihr gehört. Sie ist genauso hübsch, wie man sich erzählt. Ist sie auch ebenso kühl?"
Dominick wechselte einen langen Blick mit Anne. Endlich sagte er: „Ich bin sicher, daß sie bei dem richtigen Mann schnell auftauen würde, Blake. Komm, ich stelle dich ihr vor." Er schlug seinem Freund auf die Schulter. „Ich werde Felicity sogar zum Abendessen einladen, damit du nicht ständig mit meiner Frau flirtest."
Anne beobachtete, wie die beiden Männer zu Felicity hinübergingen. Die Cousine war während Dominicks Abwesenheit kein einziges Mal in Waverly Hall aufgetaucht.
Sie wußte, weshalb sie heute gekommen war. Sie wollte sich nicht darüber ärgern und sich erst recht nicht von dem Besuch bedroht fühlen. Doch sie konnte es nicht verhindern.
Felicity begrüßte Blake freundlich und richtete ihre Aufmerksamkeit anschließend auf Dominick.
Anne wandte sich ab. Sie beugte sich über den Zaun der Koppel und betrachtete den schwarzen Hengst. Das Tier graste einige Meter von ihr entfernt. Es hob den Kopf und sah sie mit seinem glänzenden braunen Augen aufmerksam an. Anne versuchte zu lächeln, doch es gelang ihr nicht recht.
„Hallo, Kleiner", sagte sie leise. „Du bist ja ein ganz Hübscher. Stimmt es, daß du richtig bockig sein kannst?"
Das Pferd lauschte und stellte die Ohren auf. Nur seine Nüstern bebten.
„Sag mir, was ich tun soll, mein Schöner."
Lucky schnaubte und legte die Ohren zurück. Im selben Moment
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