0101 - Die Menschentiger
»So wenig, wie Sie das Nonplusultra eines Fremdenführers sind. Sie und Ihre Mannschaft begleiten mich schließlich nur in die Wildnis, um mir dort ungestört die Kehle zu durchschneiden und mit meinem Geld zu verschwinden. Aber ich habe das Geld nicht mehr bei mir, und Sie wissen sehr genau, daß Ihr Schwiegervater ein Ehrenmann ist. Von ihm werden Sie keinen Taka bekommen, wenn Sie ohne mich zurückkommen.«
Khan Raf Shuk stieß ein paar Worte aus, deren Klang Bill entnehmen konnte, daß er lästerlich fluchte. Mit einer wilden Bewegung schleuderte er die kaum angerauchte Zigarette neben dem Boot ins Wasser und stand auf.
»Wir kehren um!« sagte er entschieden. »Behalten Sie Ihr verdammtes Geld. Ich will es nicht mehr haben. Keiner meiner Leute wird sie dorthin bringen, wohin Sie wollen. Und Sie werden in ganz Bangladesh keinen Bengalesen finden, der das tut.«
»Ich fürchte, wir haben uns mißverstanden«, meinte Bill ruhig. »Wir haben einen Kontrakt miteinander. Ich werde meinen Teil erfüllen, und Sie und Ihre Leute den Ihren.«
Auch Bill erhob sich. Als er neben Khan Raf Shuk stand, hielt er die Pistole in der Hand und rammte sie ihm in die Herzgrube.
»Sagen Sie Ihren Leuten, daß sie keinen Unsinn machen sollen. Sie wären sonst nämlich schneller ein toter Mann, als Sie sich das jemals vorgestellt haben, Mr. Shuk.«
***
Schon nach dem ersten gehauchten Wort hatte Nicole glücklich seufzend die Augen wieder geschlossen und war erneut in eine Ohnmacht versunken, die diesmal jedoch eine heilsame Ohnmacht war, aus der sie gestärkt erwachen würde. Im Augenblick konnte Zamorra nichts mehr für sie tun. Er stand auf, sah mit einem zärtlichen Ausdruck in seinen Augen auf die Schlafende nieder.
Diese elenden Gewissensbisse waren Gott sei Dank vorüber. Er glaubte nicht mehr, sich wegen seines Abenteuers mit Rahndra etwas vorwerfen zu müssen. Die Verwandlung der drei Frauen in eine Bestie, die sich mit seinem Medaillon zeigte, hatte ihn gelehrt, daß er dabei wohl kaum willentlich oder bewußt wissentlich gehandelt hatte.
Vermutlich war ihm jedes Wort, jede Regung, jede Handlung vom Schicksal vorgezeichnet gewesen, seit sie auf diese mysteriöse Weise aus dem Flugzeug geholt worden waren. Müßig, sich im Nachhinein noch große Gedanken darüber zu machen.
Sein Amulett war weg.
Aber Nicole war da.
Und eine feindliche Umwelt, der, wie Professor Zamorra allmählich aufging, sie schutzlos ausgeliefert waren. Sie hatten keine Waffen, keine Karten und nicht die Spur von einer Ahnung, wo sie sich wirklich befanden. Er war voll auf Vermutungen angewiesen.
Kurz dachte er auch an seinen Freund Bill, der schon längst in Singapore eingetroffen sein mußte und sich dort, zur Untätigkeit verdammt, vor Sorgen um Nicole und ihn verzehrte, ohne etwas an den Umständen ändern zu können.
Doch dann schob er die Gedanken an den Freund wieder beiseite. Es gab naheliegendere Probleme. Sie mußten sich ernähren, und sie mußten aus diesem verdammten unbekannten Dschungel herauskommen, um vielleicht irgendwo auf Menschen zu stoßen, die ihnen weiterhelfen konnten.
Zamorra ging auf die Lichtung zu, auf der sich kurz vorher noch die Pagode erhoben hatte. Er versuchte, sich den Grundriß des Bauwerks zu vergegenwärtigen, gab das jedoch bald wieder auf, weil derartige Überlegungen nichts fruchteten.
Er überlegte, wie wohl Nicole an seiner Stelle reagieren würde. Ihren Sinn für das Praktische hatte er schon immer gleichzeitg belächelt und bewundert.
Vermutlich würde Nicole sich nach etwas Eßbarem umsehen. Also tat das auch Professor Zamorra. Schon nach Minuten stand fest, daß sie zumindest nicht verhungern würden. Nahrung wuchs ihnen von den Bäumen förmlich in den Mund. Es gab Mango- und Kiwi-Bäume, mehrere Bananenstauden und sogar einige Kokospalmen, deren Milch ihren Durst löschen würde. Sie hätten es auch schlechter treffen können.
Als Zamorra von seiner kurzen Erkundigungsrunde zurückkehrte, war Nicole schon wieder erwacht. Sie hockte apathisch im Sand und stierte vor sich hin. Vermutlich war sie noch nicht wieder ganz da. Zamorra trat hinter sie, kniete nieder und faßte sie an den Schultern.
»Es ist alles gut, Nicole. Wir sind außer Gefahr. Die drei Frauen sind weg.«
Nicole wandte sich ihm unendlich langsam zu. Zamorra atmete auf, als er sah, daß sie ihn erkannte. Ihre Augen waren klar. Die Unterbrechung ihrer Lebensfunktionen hatte ihr keinen bleibenden Schaden zugefügt. Sogar die
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