0103 - Ich - der Mörder Jerry Cotton
Sie in letzter Zeit ein wenig überarbeitet waren, also gewissermaßen für Ihre Nerven gar keine Garantie übernehmen konnten!«
Seine Absicht war rührend. Er reichte mir gewissermaßen den Rettungsring, mit dem er mich aus dieser leidigen Affäre herausziehen wollte. Aber ich hätte lügen müssen, um von seinem großherzigen Angebot Gebrauch zu machen.
»No, Chef«, sagte ich. »Meine Nerven können mich nicht im Stich gelassen haben. Das bestreite ich. Ich war auch nicht so überarbeitet, wie Sie vielleicht glauben. Es ist völlig unmöglich, daß ich Halluzinationen hatte…«
In die tiefe Stille, die im kleinen Sitzungssaal herrschte, tönte das schwache Geräusch, als Mister High enttäuscht den Atem ausstieß. Er hatte mir helfen wollen, und ich hatte die einzige Möglichkeit dazu, die er noch sah, einfach zurückgewiesen.
Stevens räusperte sich. Er sah mich kurz an, und für den Bruchteil einer Sekunde schien es mir, als schwebe in seinem Blick ein gewisser Vorwurf gegen mich. Hatte etwa auch er mich mit dieser fadenscheinigen Nervengeschichte aus dem Schlamm ziehen wollen?
Eine Weile blieb es totenstill. Ich konnte mir denken, was jetzt in einigen Köpfen hier vor sich ging, Ungefähr das wohl: dieser Narr… hatte den schönsten Rettungsring…! bekam ihn sogar vom Chef angeboten! — und lehnt ab! Verdammt, was ist Jerry eigentlich für ein Narr? Oder kapiert er nicht, in was für einer Tinte er sitzt?
So ungefähr dürften meine Kollegen damals gedacht haben. Stevens jedenfalls versuchte es noch mit einer letzten Frage:
»Der Zeuge Borty behauptet nach der Aussage seines Anwaltes, daß Sie die Frau vorsätzlich ermordet hätten, Mister Cotton. Aber was für ein Motiv sollte denn für diesen Mord vorhanden sein?«
»Das einfachste Motiv der Welt!« krähte Forest und sprang auf. »Verschmähte Liebe! Cotton hat sich vor ein paar Monaten sehr intensiv um die Gunst von Miß Rossly beworben und wurde mehr als einmal sehr deutlich abgewiesen!«
Ich sprang von meinem Stuhl auf. Eine scharfe Erwiderung lag mir auf der Zunge. Aber dann überlegte ich’s mir und sah hinüber zu Mister High.
Und zum erstenmal in meinem Leben wich unser Chef meinem Blick aus.
Fassungslos sah ich zu ihm hin. Wie aus weiter Ferne hörte ich Stevens völlig verwundert fragen:
»Ist das wahr, Mister Cotton?«
Meine Augen hatten sich wie gebannt in Mister Highs Richtung gehalten. Aber unser Chef hob weder den Kopf, noch sagte er etwas.
Da ließ ich mich auf meinen Stuhl zurücksinken. Es war die größte Enttäuschung meines Lebens. Jetzt, auf diese Frage hätte unser Chef antworten müssen.
Na schön. Er tat es nicht.
Finde dich langsam damit ab, sagte ich mir. Finde dich damit ab, daß du bereits von den Freunden verlassen wirst.
Niemand glaubt dir deine Geschichte noch. Sie haben ja die Pistole nicht gefunden. Ich muß mich ja geirrt und auf eine wehrlose Frau geschossen haben, sonst hätte man die Waffe doch finden müssen.
Der Chef glaubte es wohl auch schon.
Mir war zum Speien.
»Stimmt es, Mister Cotton«, drang Stevens Stimme wie durch einen dichten Nebel zu mir, »daß Sie sich um Miß Rossly bemühten? Daß Sie dabei keinen Erfolg hatten und von ihr zurückgewiesen wurden?«
Ich schob nachdenklich die Unterlippe vor. Jetzt war mir alles gleichgültig. Alles. Ich hatte nur noch einen Wunsch, dieses Theater sollte sobald als möglich vorbei sein.
Ich nickte.
»Ja«, sagte ich. »Das stimmt. Ich habe mich vor ein paar Monaten tatsächlich sehr um Miß Rossly bemüht…«
Das Schweigen, das jetzt auf kam, war so dick, daß es sich fast greifbar ausnahm gegen die Stille vorher. Stevens sah mich fassungslos an.
***
»Wir werden beraten«, sagte Stevens.
Seine Stimme klang belegt. Mister High sagte gar nichts. Er folgte nur schweigend dem Vorgesetzten aus Washington. Fast geräuschlos schloß sich die Tür des kleinen Nebenzimmers.
Sofort kam Phil auf mich zugestürzt.
»Jerry!« sagte er leise. »Warum hast du denn nicht —«
Ich winkte ab.
»Schon gut. Ich konnte es einfach nicht. Ich kann mich doch nicht selbst für einen teilweise Geistesgestörten erklären.«
»Aber wieso…?«
Ich schlug mit der flachen Hand auf meinen rechten Oberschenkel.
»Begreifst du denn nicht?« fuhr ich ihn ärgerlich an. »Wenn ich einmal eine Halluzination habe, kann ich sie jederzeit wieder haben! Und das hat doch offensichtlich nichts mit normaler Geisteskraft zu tun — oder? Was verlangt man eigentlich von
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