0103 - Im Bannstrahl des Verfluchten
Feuerstellen waren erloschen, die Fenna hatten sich in ihre primitiven Hütten zurückgezogen.
Aber jetzt tauchten sie wieder heraus aus ihren Unterkünften. Ausschließlich Männer.
Und in dem Bau in der Mitte der Niederlassung wurde es plötzlich hell. In jenem tempelähnlichen Steingebilde, um das alle Fenna vorher einen großen Bogen geschlagen hatten.
Die Fenna strebten diesem Bau zu. Leider lag der Eingang auf der von Kim Lisöjn abgewandten Seite, so daß er nicht viel von dem mitbekam, was sich dort drüben wirklich tat. Jedenfalls brachte er sich in eine halbwegs aufrechte sitzende Position und kümmerte sich nicht um die quietschenden Ratten, die an seinen erfrorenen Zehen zu nagen begannen. Er spürte nichts davon. Teilnahmslos registrierte er, daß vom linken Fuß bereits drei Zehen fehlten. Die Wunden bluteten auch nicht.
Männer schleppten einen Tisch um den Mittelbau herum und stellten ihn im Sichtbereich Kim Lisöjns ab.
Es war ein großer Tisch, wie für eine Tafel mit vielen geladenen Gästen geschaffen. An beiden Kopfenden wurden Feuer neu entfacht, bis die Flammen funkenstiebend hoch gegen den nachtschwarzen Himmel loderten.
Eine der zerlumpten Gestalten schleppte einen Stuhl mit hoher Lehne herbei und stellte ihn auf der anderen, der breiten Seite des Tisches ab. Ein anderer trug einen Hocker und plazierte ihn auf der Kim Lisöjn zugewandten Seite.
Alles sah verzweifelt danach aus, als ob diese Vorkehrungen auch ihm, Kim Lisöjn, gelten würden.
Kim wurde darüber nicht lange im unklaren gelassen.
Die Wachen, die bisher fast unbewegt den Verschlag gehütet hatten, bewegten sich. Einer der Männer schob scheinbar mühelos einen Riegel beiseite, dessen Gewicht Kim Lisöjn auf einen guten Zentner geschätzt hatte. Die Ratten verzogen sich von seinen Zehen.
Vom Schein einer tranigen Fackel beleuchtet, schob sich der andere der beiden Wachtposten in das Innere des niedrigen Verschlages. Er mußte dabei den Kopf einziehen, obwohl er bestimmt kleiner war als der hünenhaft gewachsene Kim Lisöjn.
Um so überraschender kam für den Amateurwissenschaftler die Kraft, mit der dieser Mann ihn hochzerrte. Er gebrauchte nur seine eine freie Hand dazu, die er in die Verschnürung seiner Fesselung grub.
Kim Lisöjn bedauerte in diesen Sekunden, daß ihn nicht auch schon der Geruchssinn verlassen hatte. Er wußte es aus seinen Büchern, daß die Wikinger ranziges Robbenfett anstelle von Wasser zur Körperpflege benutzten. Aber er war ranzigem Robbenfett noch nie so ausgesetzt gewesen wie in diesen Sekunden. Übelkeit würgte ihn, würgte ihn vergeblich, weil sein Magen nichts herausgeben konnte.
Dann waren es zwei Mann, die ihn auf den Hocker am Tisch zuzerrten. Kim spürte nicht einmal ihre brutalen Griffe, mit denen sie ihn unterfaßten und mehr schleiften als trugen. Sein Körper konnte nicht gefühlloser sein als ein Stück Holz.
Doch irgendwann saß er. Seine »Begleiter« hatten ihn auf den Hocker gesetzt, und sie stützten ihn auch, damit er nicht nach einer der drei möglichen Seiten herunterfallen konnte.
Er sah ein Messer aufblitzen.
Geschliffener Obsidian?
Es war ihm egal. Er registrierte nur, daß die Stricke von ihm abfielen. Seine eingeschränkte Bewegungsfreiheit wurde dadurch nicht aufgehoben. Er spürte nicht einmal den Hocker unter seinem Sitzfleisch, saß nur da wie eine tote Marionette, die auf ihren Auftritt wartet.
Auch drang die wärmende Nähe des Feuers nicht bis auf seine Haut. In Kim Lisöjn sceckte momentan nicht mehr viel Leben. Man hätte ihn auch direkt in die lodernden Flammen setzen können, und er hätte keinerlei Schmerz deshalb empfunden.
Den Kopf konnte er ebenfalls nicht bewegen. So blieb sein Blickfeld auf den hochlehnigen Stuhl auf der anderen Tischseite begrenzt. Was anderes sah er nicht. Nur, daß dieser thronähnliche Sessel immer noch leer war.
Irgend jemand legte ihm ein Fell um die Schultern. Schmutzige Finger verschnürten ein paar Sehnen unter seinem Kinn, um das Ganze zusammenzuhalten.
Nun ließen sich auch wieder einige Frauen sehen. Sie kamen mit stumpfen Blicken und beachteten ihn nicht. Sie stellten Tonschüsseln und Bronzeteller auf den Tisch und zogen sich sofort darauf wieder zurück. Sie gingen gebeugt, die Kinne an die Brust gesunken, als Ausdruck ihrer Unterwürfigkeit. Ja, sie schienen von einer Ergebenheit zu sein, wie man sie manchmal bei Hunden antrifft, die trotz aller gemeinen Tritte und Quälereien treu und brav zu ihrem
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