0104 - Wir und das Wachsfigurenkabinett
führte mich zum alten Neville.
»Du machst dich, mein Junge«, begrüßte er mich. »Du schlitterst von einer Schießerei in die andere und hast es geschafft, nicht getroffen zu werden.«
»Das nicht, aber ich habe mir beim Hinschmeißen das Knie aufgeschlagen.«
»Wenn ich für jedes auf geschlagene Knie und jeden verrenkten Knochen nur einen Dollar bekommen hätte, könnte ich mich zur Ruhe setzen«, schmunzelte er.
Ich gab ihm die Einzelheiten, und er wiegte sein graues Haupt.
»Ich bin weder Sherlock Holmes noch ein Romanheld von Elleiy Queen. Ich bin nur ein alter G-man, der zu nichts mehr nutze ist. Gib mir ein paar Gangster vor die Pistole, und ich werde mit ihnen fertig aber verschone mich mit Gedankenarbeit. Übrigens hat das Horoskop recht gehabt. Die freudige Überraschung.«
»Geh zur Hölle mit deinem Horoskop«, wünschte ich und verdrückte mich.
Vor der Tür hörte ich ihn aus vollem Halse lachen.
»Was hat Milly dir eigentlich anvertraut?«, fragte mich Phil ein paar Minuten später.
»Gar nichts. Sie hat nur eingestanden, gewusst zu haben, dass Pete ihr Nachbar war. Aber sie will das für Zufall gehalten haben.«
»Glaubst du’s?«
Zufall ist ein Wort, das ich nicht leiden kann. Zufall ist meistens eine Ausrede. Man bezeichnet etwas als Zufall, worüber man sich nicht klar wird. Milly hatte sich widersprochen. Sie hatte ihren letzten Satz nicht beenden können, aber es war daraus zu ersehen, dass sie sich irgendwelche Vorwürfe machte, die mit ihres Bruders Tod zu tun haben mussten. Ich musste mit Milly sprechen, und sie würde den letzten Satz vollenden müssen.
Das musste ich selber erledigen, aber ich hatte auch noch einen Auftrag für Phil.
»Geh nach Centre Street und frage dort nach Brix. Vergewissere dich zuerst, ob man ihn überhaupt kennt. Wenn es so ist, dann mache eine Ausrede und erkundige dich, ob er vor vier Tagen, das ist der Tag, an dem Jane erstochen wurde, zwischen sechs und sieben dort war.«
»Okay, und was machst du?«
»Ich werde mit Milly reden.«
»Viel Glück.«
»Dasselbe.«
Dann suchte ich Mr. High auf. Ich musste dem Chef ja den fälligen Zwischenbericht geben. Er hörte sich alles geduldig an. Als ich geendet hatte, merkte ich erst, wie wenig wir bis jetzt erreicht hatten.
»Ich fürchte, Mr. High, ich bin in eine Sackgasse geraten«, gestand ich kopfschüttelnd.
»Das haben Sie schon so oft behauptet, Jerry, und dann plötzlich ging der Vorhang auf und Sie hatten den Fall gelöst. Ich glaube, sie wissen schon mehr, als Sie denken. Es kommt nur drauf an, die Tatsachen richtig zu ordnen.«
»Mag sein«, sagte ich trübselig. »Tausend Sachen wirbeln in meinem Kopf durcheinander.« Und dann platzte ich heraus: »Da ist zum Beispiel das Mädchen aus Puerto Rico.«
Ich hätte mir am liebsten selbst auf den Mund geschlagen. Wenn ich schon an Hirngespinsten litt, so war es ja nicht nötig, Mr. High damit zu belästigen. Jetzt aber war es zu spät. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auszupacken. Zu meiner Überraschung wurde ich gar nicht ausgelacht.
»Wenn Ihnen das im Kopf herumgeht, so wird es einen Grund haben, auch wenn Sie jetzt noch nicht sehen, welchen. Zermartern Sie sich nicht das Gehirn. Das hat nicht den geringsten Zweck.«
Ich nickte unglücklich und dachte an das Mädchen. Was hatte die tote Carmen Rodriguez mit Rovelli zu tun? Nichts, wenn ich von der Tatsache absah, dass die beiden im Schauhaus lagen. Dann fiel mir ein, dass ich gar nicht wusste, wann Jane und Pete begraben wurden. Ich rief Crosswing an, der dafür zuständig war, und erfuhr, dass die Leichen am gleichen Tag freigegeben würden und bereits ein Beerdigungsunternehmen bestellt war.
»Wie ist es mit den Kosten?«, erkundigte ich mich.
»Petes Schwester hat sich angeboten diese zu übernehmen, soweit es ihren Bruder betrifft. Jane Neal kommt aus Pittsburgh und hat dort nur eine alte Tante, der es nicht gut geht. Es wird wohl nichts übrig bleiben, als…«
»Ich bezahle das. Wie heißt das Beerdigungsinstitut?«
Er gab mir die Adresse, ich rief an und erledigte alles, was zu erledigen war. Es würde mich ein schönes Stück Geld kosten, aber ich war es Pete schuldig, dass seine Braut nicht in ein Armengrab kam.
Als Nächstes rief ich bei Milly an und hörte, sie sei im Büro. Sie hatte also ihren Urlaub abgebrochen. Sie musste doch wirklich unentbehrlich sein.
Die beiden Mädchen in Jones Hunts Vorzimmer machten einige Schwierigkeiten. Ich musste erst auf den
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