0107 - Die Geier und der Wertiger
Kanheri?«
»Schön wär’s. Ich war überhaupt nicht dort.« Ich erzählte der Römerin, was geschehen war, und ich nahm es ihr nicht übel, daß sie lachte, als sie hörte, daß man mich ins Loch gesteckt hatte. Ich sagte eindringlich: »Donna, Sie müssen mir einen Gefallen tun.«
»Aber gern.«
»Holen Sie meine Brieftasche aus meinem Zimmer und bringen Sie sie auf dem schnellsten Wege hierher.« Ich sagte ihr genau, wo ich festgehalten wurde. »Ich fürchte, man wird mir Ihren Zimmerschlüssel nicht aushändigen, John.«
»Das regle ich«, sagte ich und bat Donna, den Mann von der Rezeption an den Apparat zu rufen. Dem sagte ich dann, daß es für mich von größter Wichtigkeit wäre, so rasch wie möglich meine Brieftasche in die Hände zu bekommen.
Glücklicherweise war der Mann nicht kompliziert. Er erklärte sich bereit, Donna Varese den Schlüssel zu meinem Zimmer zu geben. Ich atmete erleichtert auf. Ein Ende meines unfreiwilligen Aufenthaltes in diesem Revier zeichnete sich ab. Eigentlich hatte niemand Schuld daran. Es war lediglich eine Verkettung verschiedener dummer Umstände gewesen.
Fünfundvierzig Minuten vergingen. Ich mußte sie allein in meiner Zelle verbringen. Um mich abzulenken, zählte ich die Käfer, die über die Wand krabbelten.
Und dann traf endlich Donna Varese ein.
Mein Sonderausweis öffnete mir Tür und Tor. Der Revierkommandant entschuldigte sich immer wieder verlegen und bat mich um Verständnis. Ich war nicht nachtragend, war froh, das Revier verlassen zu können.
Man hatte meinen Jeep hinter dem Polizeigebäude abgestellt.
Donna Varese trug einen khakifarbenen Hosenanzug. »Wie stehen meine Chancen jetzt, John?« erkundigte sie sich.
»Ich verstehe nicht.«
»Ich würde immer noch gern nach Kanheri mitkommen.«
»Meine Antwort ist immer noch nein. Ich habe Ihnen erzählt, was auf der Fahrt dorthin passiert ist.«
»Denken Sie, es könnte sich wiederholen?«
»Möglich ist alles. Deshalb werde ich versuchen, Kanheri auch im zweiten Anlauf allein zu erreichen. Sie sind in Bombay besser aufgehoben.«
»Tja, dann – ciao, John.«
»Ciao, Donna.«
»Werden Sie noch mal einen Autostopper mitnehmen?«
Ich grinste. »Ganz bestimmt nicht. Und wenn er noch so klapperig aussieht.«
***
George McKammit lag in seiner Koje und blickte zur Kabinendecke.
Er trug nach wie vor den dicken Verband, den ihm John Sinclair angelegt hatte.
Die Gedanken des Seemanns kreisten um den Oberinspektor von Scotland Yard. Er war nach Bombay gekommen, um Jagd auf den Wertiger zu machen.
Eigentlich hätte McKammit das begrüßen müssen, doch der Seemann ärgerte sich darüber.
Hatte Sinclair in England nicht genug zu tun? Mußte er seinen Aktionsradius bis Indien ausdehnen?
Glaubte dieser Kerl etwa, es ginge hier ohne seine Hilfe nicht?
Was bildete sich Sinclair denn ein?
George McKammit empfand Ablehnung, wenn er an den Yard-Beamten dachte, doch das verwunderte ihn nicht.
Er hatte Polizisten noch nie leiden können, und Erfolgsmenschen wie John Sinclair waren ihm im Besonderen zuwider.
Der Seemann dachte an den Überfall der Skelettgeier. Er fand ihren Angriff gerechtfertigt.
Man durfte die Geheimnisse der schwarzen Sekte nicht ausplaudern. Wer es doch tat, der mußte bestraft werden.
McKammit tastete nach seinem Kopf. Er hatte keine Schmerzen mehr. Es ging ihm gut. Er fühlte sich stark, und er hatte keine Angst mehr vor den Knochengeiern, denn er glaubte zu wissen, daß sie ihm nichts mehr anhaben würden.
Irgendwie fühlte er sich seit dem Überfall ihnen zugehörig. Er fand in Ordnung, was sie taten, und er fand alles das schlecht, was John Sinclair machte.
McKammit drückte mit der flachen Hand auf seinen Kopf. Genau da, wo ihn der Geierschnabel verletzt hatte.
Es hätte wehtun müssen, aber McKammit verspürte keinen Schmerz. Eigenartig, dachte er, und er empfand mit einemmal den Verband als störend und unnötig.
Er fühlte sich so gut wie noch nie im Leben. Durch seine Adern pulsierte eine erstaunliche Kraft. Es war nicht mehr nötig, daß er hier lag und sich schonte. Es war auch nicht mehr nötig, daß er diesen Verband trug.
McKammit stand auf und begann, sich von der weißen Mullbinde zu befreien. Er nahm sie zuerst am Hals ab und stellte fest, daß die Verletzungen, die ihm die Geierkrallen zugefügt hatten, nicht mehr vorhanden waren.
Sie waren innerhalb kürzester Zeit geheilt. Und nicht nur das. Es waren nicht einmal Narben zurückgeblieben. Grinsend machte
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