0109 - Das Alptraum-Mädchen
kalt.
Der Gangster war alles andere als abergläubisch, aber nun überkam ihn doch das Frösteln. Einige Sekunden lang stand er unschlüssig da und sah auf die Frau hinunter. Er entdeckte den Kanister mit Reservebenzin, den er später und an anderer Stelle über das Auto leeren und dann anzünden wollte.
Und wenn er jetzt gleich…?
Er schüttelte den Kopf. James Halbridge würde das nicht recht sein.
Also überwand er sich und faßte den Körper nochmals an.
War er inzwischen wärmer geworden?
»Zu wenig Schlaf«, murmelte er. »Langsam drehe ich durch.«
Die Frau kam ihm überraschend schwer vor, aber irgendwo hatte er einmal gelesen, daß das bei allen Toten so sei.
Er zog und zerrte und schaffte es endlich, die Leiche halb herauszuziehen. Soweit, bis sie aus dem Gleichgewicht kam und von selbst auf den Boden purzelte. Charles Loft atmete tief durch. Seine Hände waren verschmiert. Den Anzug konnte er wegwerfen oder sonstwie verschwinden lassen.
Die Handtasche fiel ihm wieder ein. Nochmals schaute er sichernd um sich, doch er, die Leiche und die Boote waren allein.
Er öffnete die Tasche, fand die zwei Tausender und eine weitere 50-Dollar-Note und pfiff durch die Zähne.
»O Mädchen«, sagte er zur Leiche hinunter. »Hast wohl den großen Schnitt gemacht, wie? Oder trägst du dein Bankkonto immer bei dir? Es scheint, daß wir den Nigger doch etwas unter die Lupe nehmen müßten.«
Damit hatte er einem Mann das Stichwort gegeben, der seit einer Stunde mit Carina Fleetwoods Augen sehen, mit ihren Ohren hören konnte. Charles Loft war nicht so allein, wie er dachte.
Maruc, der Magier, saß ihm unsichtbar im Nacken…
Dann fand der Gangster auch das gesuchte Attest. Er nahm das Messer aus dem Mund und beugte sich zur »Leiche« hinunter.
Die Frau, die einmal das Callgirl Carina Fleetwood gewesen war, veränderte sich von einer Sekunde zur anderen.
Der Gangster ließ entsetzt das Messer fallen, als er sah, daß sich die Wunden, die Toms Schlagring gerissen hatte, schlossen. Keine Spur von einer Narbe blieb zurück. Nur das blonde, lange Haar war noch vom Blut verklebt, stand struppig vom Kopf mit den eingefallenen Wangen ab.
Der vorher aufgerissene Mund klappte zu, die Lider schlossen sich und öffneten sich wieder. Sie bewegte die Beine, die Arme, rappelte sich hoch.
Charles Loft war unfähig, davonzulaufen, obwohl alles in ihm danach schrie, diesen Ort des Schreckens zu verlassen. Keinen Finger konnte er mehr bewegen.
Wie hypnotisiert schaute er zu, wie die lebende Tote nach dem Messer griff, das ihr entfallen war.
Da endlich gewann er wieder Gewalt über sich und hetzte los. Es waren nur sechs Yards bis zum offenen Wagenschlag. Er schaffte es auch noch, die Tür hinter sich ins Schloß zu werfen, und den Motor zu starten.
Doch dann war sie heran!
Sie schlug mit der messerbewehrten Faust durch die Scheibe, als bestünde sie aus Seidenpapier. Der Dolch tanzte vor seinen Augen herum, raste auf ihn zu.
Charles Loft riß die Hände hoch, als es schon zu spät war. Ein unbeschreiblich heftiger Schmerz zuckte durch seinen Kopf, nachdem die lebende Tote zweimal zugestochen hatte.
Der Gangster schrie auf. Der Schrei mußte bis hinüber nach Washington Port zu hören sein.
Er bekam es nicht mehr mit, wie Benzin durch das geborstene Fenster geschüttet wurde.
Und er konnte nicht sehen, wie die Frau den Mund weit aufriß, als müsse sie sich übergeben. Schlangenförmige, bunte Nebel ringelten sich zwischen den Zahnreihen heraus, schwebten auf den Dodge zu, blitzten dort kurz auf und steckten die sich entwickelnden Benzingase in Brand. Bald war der Wagen eine lodernde Fackel.
Die Frau stand abseits, nahm auf demselben Wege die konturenlosen farbigen Schemen wieder auf, schloß den Mund. Sie wandte sich ab und ging auf eine Baumgruppe zu.
Wie ein Roboter automatisch einen Fuß vor den anderen setzend.
So verschwand sie zwischen einigen Büschen.
Der Explosionsdruck in ihrem Rücken warf sie nicht um. Aus Carina Fleetwood, dem Callgirl, war durch den irdischen Tod ein Geschöpf von Marucs Dämonen geworden…
***
Nicole ahnte nichts von dem Unheil, das sie schon verfolgte, seit sie Bills Wohnung verlassen hatte. Was sollte sie im Zentrum der Stadt und noch dazu am hellichten Tag auch schon befürchten?
Sie war fröhlich und guter Dinge, denn Zamorra hatte sich als äußerst großzügig gezeigt. Natürlich konnte sie mit dem Geld kein Diamantendiadem bei Tiffany’s kaufen, doch das wollte sie
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