011 - Das Mädchen in der Pestgrube
heruntergelassen. Es dauerte einige Sekunden, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Das Zimmer war ähnlich wie meines eingerichtet. Die Kleider der jungen Frau hingen über einem Stuhl.
»Soll ich das Licht einschalten?« fragte Helnwein leise.
»Nein«, sagte ich und ging zum Bett.
Eva lag auf dem Bauch, die Decke hatte sie hochgezogen, nur der blonde Haarschopf war zu sehen. Ich öffnete das Fenster und ließ die Jalousie hochschnellen. Grelles Sonnenlicht flutete ins Zimmer. Die Frau stieß einen schrillen Schrei aus und zog die Decke über den Kopf.
Ich trat ans Bett. »Sperren Sie die Tür ab, Helnwein!« sagte ich. »Sie liebt das grelle Tageslicht nicht besonders.«
Helnwein gehorchte.
»Stecken Sie den Schlüssel ein!« sagte ich.
Unter dem dünnen Bettlaken zeichneten sich deutlich die Konturen ihres Körpers ab. Sie lag verkrampft da. Ich beugte mich vor, griff nach dem Laken und riß es zur Seite. Die Frau heulte wieder auf. Sie strampelte mit den nackten Beinen und verkrallte sich im Laken. Ich riß daran, doch sie hielt es fest.
»Helfen Sie mir, Helnwein!« sagte ich. »Wir müssen das Tuch fortziehen.«
Ich umklammerte die Hüften der Fremden, und Helnwein zerrte am Laken. Die Frau schlug wie eine Wahnsinnige um sich. Endlich gelang es Helnwein, das Laken etwas zur Seite zu ziehen. Ich griff brutaler zu, und sie schrie entsetzt auf. Mit einem Ruck riß Helnwein das Tuch weg.
Eva war nackt. Ihr fester Busen hob sich rascher. Sie lag jetzt auf dem Rücken und preßte die Hände auf die Augen.
»Nicht!« keuchte sie.
»Sie kann sprechen«, sagte ich grimmig.
»Ich vertrage das grelle Sonnenlicht nicht.«
»Wir haben einige Fragen an Sie«, sagte ich.
Ihr Mund öffnete und schloß sich rasch. Helnwein bedeckt ihren nackten Busen mit dem Bettlaken. Sie griff mit beiden Händen nach dem Tuch und wollte es sich übers Gesicht ziehen. Da packte ich ihre Armgelenke und drückte zu. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, die Wimpern zitterten.
»Nein!« brüllte sie gequält. »Ich halte das Licht nicht aus!«
»Quälen Sie sie nicht so!« bat Helnwein.
»Nur mit der Ruhe«, sagte ich. »Wir wollen nichts von Ihnen. Sie sollen nur einige Fragen beantworten.«
»Fragen Sie!« keuchte sie. Ihre Aussprache klang ziemlich seltsam. Ich hatte Mühe, sie zu verstehen.
»Wie ist Ihr Name?«
»Stephanie«, sagte sie. »Steffi sagen die meisten.«
Sie wollte sich aus meinem Griff befreien, doch ich hielt ihre Handgelenke fest und sah sie genau an. Ihr Gesicht hatte sich jetzt etwas entspannt. Sie sah eigentlich recht hübsch aus. Irgend etwas zog mich an, und je länger ich in ihr Gesicht starrte, um so reizvoller fand ich es. Nein, das war es nicht; ich hatte den Eindruck, ich würde dieses Gesicht schon lange Zeit kennen.
Andererseits stieß mich etwas ab. Ich konnte mir nicht erklären, was es war. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, und zugleich ekelte ich mich vor ihr.
»Anno Domini 1713«, sagte ich.
Mehr konnte ich nicht sagen. Sie stieß einen schrillen Schrei aus, und ihr Körper sackte in sich zusammen. Ich ließ ihre Handgelenke los. Sie war ohnmächtig geworden.
Ich richtete mich auf, doch meine Knie gaben nach. Ich machte einen Schritt und fiel zu Boden.
»Was ist mit Ihnen, Dorian?« hörte ich Helnweins Stimme wie durch eine dicke Wand hindurch.
Ich wollte etwas sagen, doch nur ein heiseres Krächzen kam über meine Lippen. Helnwein schob einen Stuhl heran. Kreise drehten sich vor meinen Augen. Alles hüllte sich in Nebel ein. Eine eisige Kälte ging von dem Mädchen aus. Dann wurde ich bewußtlos.
Ich schwamm durch eine undurchdringliche Dunkelheit. Es war ein Sog, der mich unbarmherzig mit sich fortriß. Kälte und fauliger Gestank umgaben mich. Dann hörte ich ein sanftes Summen. Der Geruch wurde intensiver.
Schließlich wurde es langsam hell, und ich konnte Einzelheiten erkennen. Ein dunkelblauer Himmel spannte sich über mir. Das Knarren von Rädern war zu hören. Stimmengemurmel. Niedrige Häuser – weit entfernt. Das Knarren wurde lauter. Es stank bestialisch. Unrat lag auf der Straße. Ich ging hinter einem Leiterwagen her und blickte an mir herunter, doch ich konnte nichts sehen. Ich streckte die rechte Hand aus, griff mir an die Brust, fühlte den Stoff des Rockes, doch ich konnte ihn nicht sehen.
Die Räder des Leiterwagens rasselten über das Kopfsteinpflaster. Auf der Straße lagen schmutzige Tücher. Schreie waren zu hören. Zwei Männer
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