0111 - Die grausamen Ritter
unternommen haben?
Die Lösung des Rätsels fand ich hier oben nicht, und ich kam auch nicht mehr dazu, mir weitere Gedanken darüber zu machen, denn plötzlich hörte ich hinter mir eine kratzige Stimme.
»Rühr dich nicht, wenn dir dein Leben lieb ist…«
***
Die Stimme klang so entschlossen, daß ich erst einmal gehorchte.
Stocksteif blieb ich stehen, denn ich war mir völlig sicher, daß der Kerl in meinem Rücken irgendeine gefährliche Waffe in der Hand hielt. Ein paar Sekunden vergingen. Weiter blökten die Schafe, mir kamen die Laute wie Hohngelächter vor, weil ich ahnungslos in die Falle getappt war.
Dann vernahm ich hinter mir einen knirschenden Schritt. »Jetzt kannst du dich umdrehen!«
Diesmal gehorchte ich ebenfalls. Langsam schraubte ich mich nach rechts, bis ich meinem Gegner gegenüberstand.
Ein Gegner war er, denn er hielt eine Sense in der Hand. Die scharfe Schneide funkelte im fahlen Sonnenlicht, und die Spitze zitterte so dicht vor meiner Kehle, daß ich unwillkürlich zurückzuckte.
Der Schäfer kicherte.
Ich versuchte es mit einem Lächeln und sagte: »He, begrüßen Sie Ihre Gäste immer so?«
»Nur die Fremden und die, die nicht willkommen sind.«
»Ich bin aber extra einen weiten Weg gefahren, um Sie zu sehen«, erklärte ich.
»Woher kommst du, Mann?«
»Aus London.«
Er überlegte. »Ja, das ist weit. Und was willst du von mir?«
Da er mich duzte, wählte ich ebenfalls diese Anrede. »Ich möchte mit dir sprechen. Du bist doch der Schäfer hier?«
»Ja. Und worüber willst du reden?«
»Nimm erst mal die Sense weg. Ich bin wirklich in friedlicher Absicht gekommen.« Er war noch immer mißtrauisch und seine Blicke nicht gerade offen.
Aber er senkte die Waffe, zögernd zwar, doch immerhin. Ich atmete auf. Danach sagte ich meinen Namen. »Und ich bin Rocco«, stellte er sich vor.
»Kein schottischer Name.«
»Nein.« Mehr sagte er nicht dazu. Urig sah er schon aus. Mit seinem dichten schwarzen Bartgestrüpp und dem großen Schlapphut auf dem Kopf. Er trug derbe Kleidung, und seine Hände waren fast doppelt so groß wie die meinen.
»Sollen wir nicht ins Haus gehen?« fragte ich. Er hob die Schultern, drehte sich dann, stellte die Sense weg und wandte mir den Rücken zu. Ein Zeichen seines Vertrauens.
Den Kopf mußten wir beide einziehen, als wir die Hütte betraten.
Im Innern war es düster, durch die kleinen Scheiben fiel nur wenig Licht. Ich sah ein paar Regale an der Wand, einen roh gezimmerten Tisch, eine Holzbank, einen alten Ofen. Zum Hang hin wurde die Hütte niedriger. Dort erkannte ich auch die Umrisse einer Tür. Sie mußte in den Berg hineinführen.
Der Schäfer setzte sich auf die Bank. Ich nahm neben ihm Platz und bot eine Zigarette an.
Er schüttelte den Kopf. Gelassen nahm er seine Pfeife aus der Tasche und füllte den Kopf mit Tabak. »Die rauche ich lieber.«
Ich gab ihm Feuer.
»Du hast gute Augen, John«, sagte er. »Ich merke das sofort. Und ich kann mir auch denken, weshalb du gekommen bist. Es geht um die Ritter, nicht wahr?«
»Genau.«
»Glaubst du die Geschichte?«
»Natürlich.« Er schaute mich überrascht an. Ich lächelte breit.
»Wäre ich sonst von London hergekommen? Außerdem habe ich die Ritter selbst gesehen.« Ich berichtete, was uns widerfahren war.
Der Schäfer hörte zu und nickte hin und wieder. Irgendwie hatte ich zu dem Mann Vertrauen gefaßt, er war anders als die Dorfbewohner, das sagte ich ihm auch.
Rocco lachte. »Mit denen da unten komme ich nicht klar.«
»Darf man den Grund erfahren?«
Jetzt blickte er mich ernst an. »Du hättest deine Freunde nicht allein lassen sollen.«
»Warum nicht?«
»Weil sie keine Fremden wollen.«
»Das muß aber einen Grund haben.«
»Hat es auch. Wer nicht für Barrabas ist, der ist gegen ihn und gegen sie.«
»Wer ist Barrabas?«
»Der Drache!«
Jetzt wußte ich überhaupt nichts mehr. Ich wollte etwas über die Ritter erfahren, und er redete plötzlich von Barrabas. Wie paßte das zusammen?
Danach fragte ich ihn auch, wobei er die Schulter hob und mit seiner Erklärung begann. Es wurde eine lange Geschichte, ich will sie so knapp wie möglich erzählen.
»Als die Zeit der Kreuzzüge begann, sammelte man auch in Schottland die besten Ritter, um das Heilige Grab zu verteidigen. Viele folgten dem Ruf, nur wenige weigerten sich. Zu den letzten gehörten auch die Ritter um Rufus, ihren Anführer. Sie hatten schon immer ein ausschweifendes Leben geführt, überhaupt nicht
Weitere Kostenlose Bücher